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Höhere Ölpreise, bitte!

(Eine zynische Polemik.)

Was Peak Oiler nicht kapieren ist: Die Medizin gegen hohe Ölpreise sind hohe Ölpreise.

So oder ähnlich ist es in vielen (vor allem englischsprachigen) Artikel zu lesen, wenn es darum geht den blinden Fleck zu erhellen, den "Energiepessimisten" nicht sehen (wollen). Die Theorie hinter Angebot und Nachfrage lautet:

  • Geht der Preis nach oben, verringert sich die Nachfrage. Ich würde sagen: Das stimmt!
  • Geht der Preis nach oben, lohnt es sich, mehr des teuren Produkts herzustellen. Auch das stimmt!

Daraus schlußfolgert der "Energieoptimist": Wenn die Preise nur hoch genug sind, rechnet sich auch noch der aufwendigste Materialeinsatz, um Öl aus dem Boden zu holen. Sei es Bohren in der Tiefsee (BP bietet grade seine Ölfelder im Golf von Mexiko an!), Aufsprengen ganzer Erdschichten (Fracking!), Erhitzen ganzer Berge (damit diese das Öl ausschwitzen) oder das Verfeuern von Erdgas und das Spülen mit Unmengen an (danach nicht mehr trinkbarem) Wasser um Ölsande vom Sand zu befreien (wie man es im kanadischen Alberta macht). Es stimmt: Je höher die Ölpreise, umso mehr Ölvorräte lassen sich verfügbar machen - wo auch immer sie lagern, in welch absurd aufwändiger Form auch immer sie vorliegen, welche Eingeborenen auch immer wir dafür vertreiben müssen.

Die Idee eines Peak Oils, also eines Höhepunkts in der Ölförderung, ist deshalb hanebüchener Unsinn, zumal innerhalb eines naheliegenden Zeitraumes. Je teurer Energie, umso mehr Öl fördern wir, ruft der "Energieoptimist". Daher ist alles in Butter und die ewigen Nörgler mit ihrem "es könne da ein Problem mit der Ölversorgung geben" können sich doch mal bitte wieder um ihren (erfundenen) Klimawandel kümmern.

Aber Moment! sagt sich der aufmerksame Zeitungsleser. Warum verfeuern eigentlich die USA 40% ihrer Maisernte als "Ethanol-Biotreibstoff" in ihren Pickups, obwohl weltweit grade mal wieder Dürre und Hunger angesagt sind und Öl doch dank steigender Ölpreise in rauhen Mengen da sein müßte? Der Homo Oeconomicus beantwortet die Frage natürlich mit leichter Zunge: Weil es sich lohnt! Und überhaupt: Auch bei der Mais- und Getreide-Ernte gilt, was für die Ölförderung gilt: Hohe Preise sind die Heilung für hohe Preise! Steigen die Lebensmittelpreise nur hoch genug, wird der folgende Rückgang des Lebensmittelbedarfs schon dafür sorgen, dass die Preise wieder sinken. Kollateralschäden außerhalb des ökonomischen Denkmodells berücksichtigt die Legende von der Preis-Heilung selten: Verhungerte Kinder gehen in keine Dollar-Bilanz ein. Aber der Bedarf wird sinken, ganz sicher.

Oh. Das war jetzt aber unfair! Ökonomische Fragestellungen, die sich in Angebot, Nachfrage und Preisen ausdrücken mit solch hinterhältig-moralischen Verhungerte-Kinder-Legenden in Zusammenhang zu bringen, das ist schon perfides Gutmenschentum.

Na gut.

Dann schauen wir eben kurz ins Jahr 2010, in ein Interview das der Chef der Internationalen Energieagentur Fatih Birol anläßlich der BP-Ölkatastrophe im Golf von Mexiko dem Manager-Magazin gegeben hat:

Auf jeden Fall sind die Zeiten billigen Öls ein für alle Mal vorbei. Preise von 30 oder 40 Dollar pro Fass sind endgültig passé. Darauf sollten sich Regierungen, Unternehmen und Privatleute vorbereiten. Sie sollten in alle Investitionsentscheidungen höhere Ölpreise einkalkulieren.

Wenn die Weltwirtschaft um 3 Prozent wächst, so wie es sich in den vergangenen Monaten abzeichnete, dann sind die heutigen Preise von 75 bis 80 Dollar pro Fass schon bald die untere Grenze.

Als Preis-Heiler weiß ich: Ist ja kein Problem, 80 Dollar! Genau das, was wir brauchen! Bemerkenswert ist nur: Das hat Fatih Birol 2010 gesagt. 80 US$ als Preisuntergrenze hat der Brent-Ölpreis seit anderhalb Jahren nicht mehr gesehen und derzeit vermelden alle Gazetten ein neues Rekordhoch beim Ölpreis, beim Heizölpreis und vermutlich auch bald wieder beim Spritpreis. 2010, da kam die Weltwirtschaft grade aus ihrem jüngsten Tief, was den Ölpreis mal für einen winzig kurzen Moment bei 35 US$ aufsetzen ließ, um ihn danach wie auf einer Sprungfeder sitzend binnen 6 Monaten erneut zu verdoppeln. "Wenn die Weltwirtschaft um 3 Prozent wächst..." hat Birol gesagt: Jetzt grade wächst in Europa keine Wirtschaft mehr, die Rezession ist real. Und trotzdem ist der Ölpreis ins Sommerloch hinein von 90 auf 115 US$ geklettert und sooo schlecht ist das Sommerwetter nun auch nicht, dass alle Ölheizungen brummen und für fette Öl-Nachfrage sorgen. Ist es die Angst vor einem Krieg im Iran? Ist es die Geldflucht ins Öl? (Weil sonst keine risikoarmen Geldanlagemöglichkeiten mehr auffindbar sind.) Was sollen die Ölpreise nur machen, wenn das 3%-Wachstum was Fatih Birol benannte, denn tatsächlich einträte? Auf 150 US$ steigen? 250?

Das wär ja gut.

Denn wir alle wissen (siehe oben): Steigende Preise sind gut, denn sie sorgen dafür, dass bald noch mehr Öl auf den Markt kommen wird.

Hoffentlich erleben wir das noch alle! Als Fluggast bei Ryanair ist man da derzeit ja nicht mehr so sicher. Die hohen Ölpreise werden als Ursache dafür gehandelt, dass die Piloten der Billigfluglinie angewiesen werden, möglichst wenig zu tanken. Leichtere Flugzeuge verbrauchen weniger Kerosin, also macht es Sinn, möglichst wenig (gewichtiges) Kerosin zu tanken. Nur wenn man es untertreibt mit dem Tanken, dann stürzen Flugzeuge bekanntlich ab - was jetzt zu gleich 3 Notlandungen von Ryanair-Maschinen an einem Tag geführt hat. Hohe Preise sind die Heilung für hohe Preise: Air Berlin verkauft 8 seiner Flugzeuge. Air-Berlin-Chef Hartmut Mehdorn kann als Mobilitäts-Manager ja schon so einigen Erfolg bei der Stillegung der Berliner S-Bahn vorweisen, nun also auch Air Berlin. (Berlin hat ja nichtmal einen ordentlichen Flughafen, wozu also Flugzeuge bei Air Berlin?) Wenn Fluglinien wegen hoher Ölpreise Verluste ausgleichen, indem sie Flugzeuge verkaufen oder Flugzeuge dem Risiko aussetzen, zu Boden zu segeln, dann sinkt natürlich die Nachfrage nach Öl. Wer fliegt schon noch, wenn die Dinger abstürzen oder abverkauft sind? Ergo: Hohe Ölpreise sind die Heilung für hohe Ölpreise, denn die sinkende Kerosin-Nachfrage senkt natürlich auch den Ölpreis. Jedenfalls ein bisschen.

Die Kurzsichtigkeit der Geld-Sicht der Preis-Heiler wird deutlicher, wenn sie durch eine Energie-Sicht ausgetauscht wird. Bekanntlich benötigt man Energie, um Energie bereitzustellen. Um Stahl zu kochen, ihn in Bohrköpfe oder in Röhren zu verwandeln, um Bohrtürme aufzustellen oder Personal ranzukutschieren, um Pumpen zu betreiben oder Raffinerien: Alles kostet Energie. Berechnet man den Aufwand zur Ölförderung mal in Energieinvestitionen statt in Dollarinvestitionen, so fragt der kluge Haushälter nach der Rendite: Der Energierendite. Wieviel Energie muss man investieren, um eine Energieeinheit Öl zu gewinnen? Energy Return on Energy Invested, ERoEI. Selbst den schlechtesten Betriebswirtschaftlern fällt auf: Wenn sie mehr als eine Energieeinheit investieren müssen, um eine Energieeinheit zu gewinnen, rechnet sich das Vorhaben schlicht nicht mehr. Man kann solch eine Situation wunderbar vernebeln, indem man genug Subventions-Dollars in den Ring wirft, aber die Physik kann durch die Ökonomie nur schwerlich überlistet werden. Rechnet man statt in Dollars in Kilowattstunden, so erkennt man, dass im Ökonomen-Ruf nach hohen Preisen ein Hauch Irrsinn mitschwingt. Wer würde schon fordern, möglichst viel Energie zu verbrauchen, um Energie zu gewinnen getreu dem Motto "Die Heilung für hohe Energiekosten sind hohe Energiekosten". Zugegeben: Es steckt Wahrheit in diesem Satz, allerdings anders, als gedacht.

Lange Rede. Kurzer Sinn:

Auch wenn wir inzwischen einen Arzt als Wirtschaftsminister haben, der auf der Ölplattform Mittelplate neue Bohrungen im Wattenmeer nicht ausschließen will: die Annahme "Die Medizin gegen hohe Ölpreise sind hohe Ölpreise" gilt wenn überhaupt nur dann, wenn man nur in Richtung der Ölförderung schaut. Dort mögen hohe Ölpreise für Innovation, neue Projekte und möglicherweise auch mehr Förderung sorgen. Doch dreht man sich um und schaut in den Rest der Welt (also jenen unbedeutenden Rest, der nicht Ölförderung ist), so stellt man möglicherweise fest: Hohe Ölpreise sind Gift. Das wußte schon Paracelsus, wenngleich er seinen Spruch "Alles ist Gift - auf die Dosis kommt es an" auf den menschlichen und nicht auf den gesellschaftlichen Organismus bezog. Hohe Ölpreise sorgen sehr wohl für Anpassungsmassnahmen des ökonomischen Systems in dem wir uns bewegen, da sind sich "Energieoptimisten" wie "Energiepessimisten" möglicherweise sogar einig. Eine Anpassungsmaßnahme ist die Suche nach neuen Fördermethoden und Energiequellen auf Seiten der Ölförderer, eine andere ist die Einsparung beim Energieverbrauch auf Seiten der Ölverbraucher. Peak-Oil-Warner, zu denen ganz offensichtlich auch der Chef der Internationalen Energieagentur Fatih Birol gehört, gehören zu den "Bullen" was den Ölpreis betrifft: Sie erwarten weiter steigende Preise. Ihre Begründung ist schlagkräftig: Die Abhängigkeit vom Öl ist so stark, dass die Nachfrage nicht einfach mal so gegen Null gehen kann, und es gibt diverse Anzeichen (z.B. steigende Ölpreise), dass die freien Förderkapazitäten sich dem Ende zuneigen (sogar die Russen betteln um frisches Geld, um ihre Förderung nicht absinken zu sehen). Daher empfehlen die Warnenden, die eigene Abhängigkeit kritisch zu prüfen und die Ölpreise der Zukunft bereits bei heutigen Investitionsentscheidungen zu berücksichtigen. (Vielleicht verkauft Mehdorn deshalb seine Flugzeuge?) Man nennt sowas vorausschauend handeln.

Denn was Peak-Oil-Skeptiker nicht kapieren, steht im Beipackzettel.

4 Kommentare to “Höhere Ölpreise, bitte!”

  1. GermanStacker sagt:

    Peak Oil hat auch deswegen so viele Skeptiker, weil der Ausdruck ungenau ist. Es müsste, wie der Artikel ja schön erklärt, Peak cheap and easy Oil heißen. Die Regierungen werden dann in bewährter Manier Geld drucken, um das zu kompensieren. Aber wenn die Ölförderer das wertlose Geld nicht mehr wollen, beginnt ein neues Kapitel. Die Weltwirtschaft beruht auf billigem Öl, und steht daher vor einer jahrzehntelangen Schrumpfung.

  2. steffomio sagt:

    Ein super Beitrag!

    Die ganze Situation erinnert mich an den Film Titanic. Dort hieß es auch, das Schiff könne niemals sinken, selbst als das Schiff schon Schieflage hatte und die ersten Dritt-Klässler (3.Welt?) zu ertrinken anfingen.
    Die Kapelle spielte bis zum bitteren Ende, als wäre nichts gewesen.
    Paradoxerweise erfuhren die Passagiere der ersten Klasse (1.Welt?) als letzes, dass das Schiff nun doch sinken werde…

  3. smiths74 sagt:

    Hallo Norbert,
    Spitzen-Artikel!
    Erst die Luftfahrt, dann der Tourismus, dann die Autoindustrie…

  4. […] wird auch mehr von diesem Öl gefördert werden? Obwohl dazu erst kürzlich ein Beitrag erschienen ist, der auf die physikalischen und technischen Hintergründe eingegangen ist, […]

Diesen Eintrag kommentieren: steffomio

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