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E10, Lebensmittelpreise und Peak Phosphor – zur “Biosprit”-Diskussion

Die weltweit steigenden Getreide- und damit Lebensmittelpreise sind Auslöser einer deutschen Debatte über Biomassetreibstoffe wie E10. Nachdem Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP) das Aus für den dem 10% Ethanol gestreckten Treibstoff E10 gefordert hat, schlägt Greenpeace mit einer Forderung nach dem sofortigen Stopp des E10-Verkaufs in dieselbe Kerbe.

Der Verband der Kraftstoffproduzenten aus Biomasse hatte Ende Juli in seiner Stellungnahme ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es "außer Biodiesel und Bioethanol derzeit keine andere einsatzfähige Alternative zu fossilen Kraftstoffen" gibt. Solar- und Windenergie spiele in den aktuellen Fahrzeugantrieben auf der Straße eine absolut ungeordnete Rolle mit nur einigen tausend Elektroantrieben bei über 40 Millionen PKW und einem absolut dieselabhängigen Straßengüterverkehr. Anlass für diese Stellungnahme war eine Studie der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die von einem weiteren Ausbau von Biomassekapazitäten für den Straßenverkehr abriet. Dabei betonen die Autoren vor allem, dass der Anbau von Biomasse (derzeit) immer mit der Notwendigkeit von Düngemitteln einhergeht und somit die Nährstoff-Kreisläufe strapaziert, auch wenn möglicherweise der Kohlenstoff-Kreislauf entlastet wird:

Dabei wird allerdings nicht berücksichtigt, dass der Kohlenstoff-Kreislauf eng verbunden ist mit den Nährstoff-Kreisläufen von Stickstoff, Phosphor, Schwefel, Metallen und Wasser, die neben Kohlenstoff alle auch Bestandteile von Biomasse sind und für deren Photosynthese nötig sind. Wann immer pflanzliche Biomasse erzeugt wird, werden diese Nährstoffe gebraucht. Wann immer Biomasse wiederkehrend aus einem Ökosystem entfernt oder deren Bildung durch menschliche Eingriffe beschleunigt wird, müssen diese Nährstoffe durch Düngung nachgeliefert werden. (Kurzfassung Leopoldina-Studie, S. 3)

Laut der Leopoldina-Studie werden bereits heute 75% der oberirdischen Nettoprimärproduktion von Biomasse in Deutschland direkt oder indirekt durch den Menschen vereinnahmt (S. 6). Was per Landwirtschaft von Feldern und Wiesen geerntet wird geht zum Großteil in die Lebensmittel- und Tierfutterproduktion, nur 10% stehen als Energiequelle zur Verfügung, was weniger als 1,5% des deutschen Primärenergieverbrauchs entspricht (S. 7). Dass seit 2010 überhaupt 7% des Primärenergieverbrauchs durch Biomasse gedeckt werden konnten, liegt an enormen Importanteil. Ohne diese - letztlich nicht nachhaltigen, da die Energiebilanz andernorts belastenden - Importe könnten nur 3% des heutigen Energieverbrauchs durch hierzulande gewachsene Biomasse abgedeckt werden. (S. 7) Hier schlägt sich der Bogen zur Diskussion um die globale Ernährungssicherung, denn welcher E10-Tanker prüft schon, ob das beigemischte Ethanol den Nahrungsmittelanbau irgendwo auf diesem Planeten einschränkt?

Quasi im Vorbeigehen schildern die Leopoldina-Autoren ein zu Peak Oil ähnlich gelagertes Phänomen auf Nährstoff Ebene: "Peak Phosphor". Phosphate werden als Dünger zugeführt, obwohl ausreichend Phosphat im Boden vorhanden ist. Doch dieses bodengebundene Phosphor liegt unlöslich vor, so dass es für Pflanzen nicht zugänglich ist. Eine Mobilisierung durch Mikroben ist möglich, doch die Mobilisierungsgeschwindigkeit ist gering und limitiert dadurch die Erträge. (S. 9) Genau wie bei der Ölförderung ist nicht die Menge des im Boden vorhandenen Phosphors relevant, sondern die Geschwindigkeit, mit der das Phosphor den Pflanzen verfügbar gemacht wird. Daher "füttert" der Mensch mineralische Phosphate zu, welche bergmännisch abgebaut werden. Bei wikipedia findet sich der bedeutungsschwere Satz:

Man geht davon aus, dass die zur Düngerproduktion nutzbaren Phosphatlagerstätten früher erschöpft sein werden als die weltweiten Erdölvorkommen.

Nicht alle Forscher stimmen überein, dass "Peak Phosporus" ein naheliegendes Problem ist, doch die Abhängigkeit von dem auf Phosphat basierenden Landwirtschaftsprinzip ist kaum bestreitbar. Unsere Treibstoffproduktion mit Biomassetreibstoffen anzureichern bedeutet demnach, den Phosphathunger zu erhöhen, mithin die Ausbeutungsrate zu erhöhen und damit die mineralischen Phosphatvorkommen noch schneller zu erschöpfen. Da Deutschland bereits Netto-Biomasseimporteur ist, bedeutet ein Ausbau des Biomassetreibstoffverbrauchs einen weiteren Abhängigkeitspfad zu installieren: Bereits von Erdgas, Kohle, Uran und Erdöl ist Deutschland importabhängig und weit von einem Selbstversorgungsniveau entfernt. Die EU-Richtlinie, die diesen Ausbau auf 10% des Treibstoffverbrauchs fordert, ist aus diesem Blickwinkel ein nichtnachhaltiges Instrument, folgerichtig empfehlen die Leopoldina-Autoren, sie "zu überdenken" (S. 13)

Sogar die Financial Times, ihres Zeichens nicht unbedingt mit dem Image des Nachhaltigkeitsmediums gesegnet, transportiert diese bedenkenswerte Sichtweise. Dort ist in einem Kommentar von Jeremy Grantham, Mitgründer der Vermögensverwaltung Grantham Mayo Van Otterloo (GMO), unter dem Titel "Einmal volltanken - oder ein Jahr Hunger stillen" zu den derzeit steigenden Lebensmittelpreisen zu lesen:

Letztlich könnten die Marktpreise eine Veränderung des Verhaltens bewirken, aber zunächst werden höhere Preise den reichen Ländern eine Botschaft schicken, die noch zu schwach ist, als dass sie diese zum Handeln bewegen. Gleichzeitig aber drängt ein Preisanstieg die ärmsten Länder vom Markt. Die derzeit bei uns herrschende Gleichgültigkeit zeigt sich an folgender Rechnung: Eine Tankfüllung Maisethanol für einen Geländewagen verbraucht die Kalorienmenge, von der ein ägyptischer Bauer ein ganzes Jahr leben könnte.

Den Energy Return on Energie Invested (ERoEI) der Bioethanol-Produktion gibt die Leopoldina-Studie (unter bestimmten, günstigen Bedingungen) mit 8 an (S. 15): Bei der Herstellung von Ethanol aus Zuckerrohr in den Tropen! Und dies auch nur unter der Bedingung, dass die Zuckerrohrreste "als Hauptenergiequelle für die Ethanol-Destillation verwendet werden". "Diese Verwendung ist jedoch auf Grund der resultierenden Bodenkohlenstoff-Verarmung nicht nachhaltig." Will sagen: Nachhaltige Energiegewinnung auf Biomasse-Basis würde bedeuten, dass für 1 investierte Energieeinheit weniger als 8 Energieeinheiten gewinnbar sind. Und dieser schmale Output soll dann in Verbrennungsmotoren mit einem Wirkungsgrad von bestenfalls 35% in unseren PKWs verbrannt werden? In einem Kommentar im STANDARD vertritt Rudolf Skarics die Ansicht, man brauche (zumindest in Österreich) 8 Liter Erdöl um einen Liter Ethanol herzustellen.

Die Jammerei von Elmar Baumann, Geschäftsführer des Verbandes der Deutschen Biokraftstoffindustrie (VDB), in der Verbands-Pressemitteilung zeigt das Dilemma, vor dem wir stehen:

"Alle Experten vertreten die Auffassung, dass der Verbrennungsmotor in den kommenden Jahrzehnten weiter die entscheidende Rolle spielen wird, besonders im Güterverkehr. Mit ihrer unrealistischen Empfehlung für Sonnen- und Windenergie bleiben die Autoren der Leopoldina jede Antwort auf die Frage schuldig, wie schmutzige fossile Energie im Straßenverkehr ersetzt werden kann."

Unser Problem ist, dass wir uns auf einen Entwicklungspfad begeben haben, der uns hochgradig von Brennstoffen abhängig gemacht hat, für die wir jetzt keine Alternative haben. Zwar wissen wir, wie man elektrobetriebene Fahrzeuge baut, aber es gibt weder eine industrielle (Fabriken) noch eine Betriebs-Infrastruktur (Stromtankstellen) noch ausreichend elektrischen Strom - wir stecken in einem "technology lock-in". Die Ölpreise steigen und selbst der Ölkonzern BP geht davon aus, dass E10 künftig der meistgetankte Otto-Kraftstoff sein wird (SPON: BP-Manager rechnet mit dauerhaft hohen Benzinpreisen). Grade BP muss stark darauf setzen, dass E10 sich durchsetzt, denn sonst gehen all die schönen Prognosen für die "all liquids" Treibstoff-Ausbeute den statistischen Bach runter. Selbst die Autohersteller meutern über den Niebel-Vorschlag, haben sie doch einen ordentlichen "CO2-Rabatt" auf ihre Fahrzeugflotte beim Gesetzgeber rausgehandelt und müssen aufgrund des "Biosprits" ihre Fahrzeuge nicht ganz so sparsam gestalten. Bei einem Aus für E10 müßten sie ihre Spritsparanstrengungen vergrößern.

Das scheint letztlich der einzige Weg zu sein, das Dilemma in dem wir uns bewegen, aufzulösen: Weniger verbrauchen und einen Technologiewechsel hin zur Elektrifizierung vorantreiben. Bislang ist es Strategie aller Beteiligten, die Ölmengen zu vergrößern: Sei es durch Fracking, Arktis-Bohrungen, den Weg in die Tiefsee oder eben Biomassesprit. Dass es hier Grenzen gibt, die nicht nachhaltig überschreitbar sind, wird derzeit nur im kleinen, überschaubaren Rahmen diskutiert. Auch die E10-Diskussion bricht dort bislang nicht aus. Die Zahl der Zeitungsartikel, die sowohl das Stichwort "Peak Oil" als auch das Stichwort "E10" benutzen, geht laut Google News gegen Null.

 

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8 Kommentare to “E10, Lebensmittelpreise und Peak Phosphor – zur “Biosprit”-Diskussion”

  1. klaus-peter romberg sagt:

    Man kann lange Teller oder Tank diskutieren, aber letzlich liegt das Problem noch woanders. Wir versiegeln fleissig eine Ackerfläche nach der anderen. Denn jedes Fahrzeug braucht Platz. Ackerflächen auf denen dann nichts mehr wächst. Das verschärft auch den Hunger. Denn irgendwoher müssen die Nahrung-Futter und Energiepflanzen ja herkommen. Woher? Vertreibungen dafür?

    • GermanStacker sagt:

      Das fossile Zeitalter hat uns die die Bevölkerungsexplosion auf 7Mrd. gebracht, einhergehend mit erheblichen Verzerrungen und Privilegien im Ressourcen- und Energieverbrauch. Die meisten Menschen in den Industrieländern müssten ehrlicherweise zugeben, dass es ihnen aktuell wichtiger ist, zum Vergnügen mit dem Auto herumzufahren, als zu verhindern, dass in einem fernen Land Millionen Menschen verhungern. Erst wenn WIR SELBST zwischen Brot und Benzin wählen müssen, wachen wir auf.

  2. steffomio sagt:

    …Verbrennungsmotoren mit einem Wirkungsgrad von bestenfalls 35%…

    Das ist der Wirkungsgrad an der *Kurbelwelle* des Motors.
    Aus meiner Lehrzeit als KFZ Mechaniker um 1980 herum galt der Wirkungsgrad AM RAD, also als effektiver vortrieb, ein Wirkungsgrad von 6-13% – je nach Motortyp, Antriebstechnik und Fahrhilfen.
    Wirkungsgrad von Dieselmotoren ist höher als der von Benzinmotoren.
    Wirkungsgrad von Allrad-Antrieben ist geringer als der von 2-Rad Antrieben.
    2-Takt Motoren arbeiten zwar effizienter, jedoch ist die für den Motortyp notwendige Öl-Beimischung zum Kraftstoff untragbar für die Umwelt. Auch die Lebensdauer ist wesentlich geringer als bei 4-Takt Motoren.

    Man konnte zwar den Wirkungsgrad erhöhen im laufe der Zeit, jedoch wurde dieser sogleich wieder aufgezehrt durch serienmäßige Servolenkungen, Klimaanlagen, Allrad-Antriebe und allerhand anderer eher unwesentlicher Schnick-Schnack.

    • steffomio sagt:

      Sorry für den Nachwurf:

      Wer die schwache effizienz von Motoren nicht glaubt, kann bei einem Benzinmotor gerne mal 2-3 Zündkerzenstecker heraus ziehen und prüfen, wie viel Wirkungsgrad für den Vortrieb des Fahrzeugs noch übrig bleibt.
      Bei zwei Zylindern von vier (50%) kann man u.U. noch etwas voran kommen. Bei nur einem Zylinder (25%) von 4 läuft selbst bei vollgas meist kein Motor mehr.

  3. Stefab sagt:

    -> steffimio: Was hat die Anzahl der laufenden Zylinder mit dem Wirkungsgrad zu tun?

    Auch wenn ich dir zustimme und meine, 35% sind sehr unrealistisch, denke 20% ist so ziemlich das Maximum bei Diesel (wenn überhaupt) – also bei Gebrauch.
    Im idealen Drehzahlbereich bei optimaler Last mag ja kurzzeitig mal 35% drin sein, aber sicher nicht beim normalen Fahren.
    Bei Benzin vielleicht 15% ?!

    Und ebenso wie Strom nicht einfach aus der Steckdose kommt, kommt Benzin/Diesel ja auch nicht einfach aus der Zapfsäule, sondern muss erst gefördert, transportiert, raffiniert & nochmals transportiert werden. k.A. wie viel da drauf geht, aber es ist in jedem Fall eine Sackgasse.

  4. Voigti sagt:

    Die dezentrale lokale Energiegewinnung aus nachwachsenden Wertstoffen wie Biomasse, Abfall, Müll, Mischmaterialen und nahezu jede Art organische Reste stellt nur eine Art Lösungen dar, die sich überall umsetzen lässt, ohne auf Acker und teure Rohstoffe angewiesen zu sein. Kurze Wege und die Möglichkeit, daraus emmissionsfrei und umweltgerecht sauberes Gas, Strom, Wärme, Heizöl, Diesel, Benzin etc. und Schmierstoffe zu produzieren, Wertstoffe und Materialverbunde zu trennen und zu recyclen, könnte viele heutige Probleme auf einmal lösen. Lange Stromtrassen würden überflüssig, Strom-Leitungsverluste (heute ca. 60%) deutlich reduziert, lange Transporte vermieden, das Speicherproblem wäre gelöst, aus Geldabfluss würde Wertschöpfung und es profitiert die regionale Infrastruktur.
    Technisch ist alles vorhanden, es fehlt nur der Wille zum konsequenten Einstieg in die Regionalisierung.

    Motoren, viel effizienter und ohne Kühlung laufen!…. könnte es längst geben, Elsbett baute z.B. in den 70ern schon http://www.elsbett-museum.de

    Doch jede Einsparung hat u.a. auch “steuerliche Nachteile”, welche Instanz kann sich sowas leisten ?

  5. […] Differenz von 3 mb/d füllen Biotreibstoffe. (Die IEA berücksichtigt nicht die Aussage der Leopoldina, nach der der Mensch bereits 70% der oberirdischen Biomasse beansprucht und sie macht auch keine […]

  6. […] Oil, welches durch Peak Coal, Peak Gas, Peak Kupfer, Peak Phosphor usw. zu Peak Everything erweitert werden kann, geht also mit steigenden Preisen einher. (Dabei sind […]

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