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Schweizer Bundesamt für Energie legt Risikobewertung für die Erdgasversorgung der Schweiz vor, Öl medial kein Thema

Das Schweizer Bundesamt für Energie, welches dem Ministerium für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation untersteht, hat eine Risikobewertung für die Erdgasversorgung der Schweiz vorlegt. Das 32seitige Papier soll dazu dienen, die Schweiz näher an die "Gas-Koordinierungs-Gruppe" der EU heranzuführen. Dieses Gremium wurde von der EU in Folge der russisch-ukrainischen Gaskrise von 2009 eingesetzt.

Allerdings läßt ein Papier zu diesem Thema in diesen Zeiten mehr erwarten, als es letztlich liefert. Das Papier untersucht genaugenommen nur, "ob die Gasinfrastruktur technisch in der Lage ist, die gesamte Gasnachfrage in einem berechneten Gebiet bei Ausfall der größten einzelnen Gasinfrastruktur während eines Tages mit außergewöhnlich hoher Gasnachfrage [..] zu decken". Diese Anforderung an das Versorgungsnetz, solch einen Störfall auszuhalten, wird durch eine EU-Verordnung Nr. 994/2010 formuliert - und da die Schweiz sich stärker in die Aktivitäten der EU zur sicheren Gasversorgung einbringen will, testet die vorliegende Studie das Erfüllen dieser Verordnung. Den genannten "Ausfall der größten einzelnen Gasinfrastruktur" hält die Schweizer Gasversorgung laut Risikobewertung aus.

Das Papier thematisiert auch weitergehende Störszenarien. Ein Ausfall des größten Gaseinspeisepunktes Wallbach wäre laut der Untersuchung handhabbar, genau wie es die Unterbrechung einer Transitgasleitung von Juni bis Dezember 2010 war. Der kurze Abschnitt zur Ukraine-Russland-Gaskrise von 2009 hält lapidar fest, dass es damals keine Versorgungsprobleme gab, weil Gasleitungen durch Weißrussland und Polen verstärkt genutzt und zusätzliche Lieferungen aus Norwegen, den Niederlanden und als LNG erfolgten.

Das Umweltamt bat diverse Institutionen um Beurteilung der Risikobewertung. Von economiesuisse wurde angeregt, die aktuelle Ukraine-Krise im Papier zu berücksichtigen. Die Autoren der Studie lehnten dies jedoch mit dem Zweck des Papiers, nämlich der EU-Verordnung zu genügen, ab. (mehr …)

USA: Infrastrukturkrise durch hohe Ölpreise

Das letzte Mal wurde die Mineralölsteuer in den USA 1993 angepasst. Seit über 20 Jahren zahlen Autofahrer in den USA auf jede Gallone (ca. 4 Liter) 18,4 Cent Mineralölsteuer (< 5 Cent pro Liter!). Diese Steuer fließt überwiegend dem Highway Trust Fund zu, der daraus die Erneuerung der Straßen, Brücken und Highways finanziert. Diesem Fond geht jedoch das Geld aus - schon im August könnte die Finanzierung der Straßeninfrastruktur in den USA zum Stillstand kommen.

Hintergrund der Finanzierungskrise ist nicht nur die seit 20 Jahren unangepasste Mineralölsteuer, sondern auch der seit 2002 gestiegene Ölpreis. So wie die Benzinpreise stiegen, sank der Spritverbrauch in den USA: Es wurde weniger gefahren und es wurden sparsamere Fahrzeuge gekauft. Statt fast 50 Milliarden US$ Einnahmen für die US-Bundesbehörden vor der Ölpreisexplosion standen den Bundesbehörden zuletzt nur etwas mehr als 30 Milliarden US$ aus der Mineralölsteuer zu. Natürlich schrumpfte die Länge des US-Straßennetzes nicht in gleichem Maße, weshalb einem gleichbleibendem (bzw. sogar inflationär wachsenden) Aufwand schrumpfende Steuereinnahmen gegenüberstehen.

Nun wird diskutiert, wie sich die Einnahmesituation verbessern ließe und mit großer Wahrscheinlichkeit kommen zusätzliche Steuern auf die US-Autofahrer zu. Es ist zu erwarten, dass die dadurch steigenden PKW-Kosten zu sinkender PKW-Nutzung führen werden und damit tendenziell die Situation wiederholt wird: Dem großen Aufwand der regelmäßigen Ertüchtigung des Straßennetzes stehen tendenziell sinkende Einnahmen aus der Mineralölsteuer gegenüber, was letztlich zu der Erkenntnis führen sollte: Das Straßennetz der USA ist überdimensioniert.

Maut in Deutschland

Zwar haben die US-Mineralölsteuern noch viiiiel Spielraum, bis sie deutsches Niveau erreichen (Benzin: 65 Cent pro Liter, Diesel: 47 Cent pro Liter, Kerosin: 0 Cent), doch zeigt sich an der derzeit laufenden Maut-Debatte auch in Deutschland, dass die Finanzierung der gewachsenen Straßeninfrastruktur keineswegs gesichert ist. 625 Millionen Euro soll Dobrindts Ausländer-Maut in die Kassen spülen, während der Lobbyverband Pro Mobilität e.V. eine Finanzierungslücke von 6,5 Milliarden Euro jährlich sieht.

Unter Peak-Oil-Gesichtspunkten ist es fraglich, ob die heutige Straßeninfrastruktur auch in der Zukunft in diesem Umfang benötigt wird und vor allem: Ob sie tragbar ist. Immerhin braucht es zum Straßenbau nicht nur Geld, sondern auch Bitumen und große Mengen Treibstoffe für Baumaschinen und Materialtransporte. Das gilt für Deutschland genauso wie für die USA und die meisten anderen industrialisierten Länder der Welt. Florian Rötzer bezeichnet die Mautpläne denn auch als Fehlgeburt, weil sie bürokratisch ist und jegliche Lenkungswirkung vermissen läßt.

Als warnendes Beispiel für Infrastrukturrisiken läßt sich die aktuelle Situation im thüringischen Gera benennen. Dort meldeten in der vergangenen Woche die Stadtwerke Insolvenz an und in der Folge sind nun auch die Verkehrsbetriebe zahlungsunfähig. Auch in der Stadtverwaltung selbst gilt eine Haushaltssperre. Finanzielle Verbindungen zwischen Stadtwerken und Verkehrsbetrieben gibt es in vielen deutschen Städten, wobei meist die Energieversorger den ÖPNV querfinanzieren. Es bleibt zu hoffen, dass Gera ein tragischer Einzelfall bleibt und nicht ein erster von vielen Fällen wird, bei denen die städtische Daseinsvorsorge infrage steht. Das Risiko einer schleichenden Erosion der gewachsenen Infrastrukturen läßt sich aus Peak-Oil-Gesichtspunkten durchaus ableiten. Die Maut-Diskussion schließt leider bislang keine Diskussion über eine zukunftsfähige Mobilitätsinfrastruktur in Deutschland ein, sondern ist auf den Erhalt des üppig dimensionierten Straßennetzes ausgerichtet.

x-ter Versuch: Subventionsabbau in Ägypten

Dass die Verteuerung von Mobilität revolutionären Sprengstoff beinhaltet, wissen manche arabische Länder genau. Ägypten versucht dieser Tage mal wieder, den Staatshaushalt von Subventionen zu entlasten. Die Streichung von 20 Milliarden US$ Mineralölsubventionen führten in Ägypten am Freitag zu einem Anstieg der Spritpreise um 78%. Schon zur Revolution 2011, bei der Hosni Mubarak die Macht in Ägypten verlor, spielten die gestiegenen Energiepreise eine Rolle. Auch die jetzige Entscheidung dürfte einige Ägypter hart treffen aber erneut die Frage aufwerfen, wie stark sich einzelne Gesellschaften von Öl als Treibstoff abhängig gemacht haben und wie man aus dieser Verstrickung konstruktiv rauskommt. Iran, Saudi Arabien, Indonesien, Indien, Venezuela und China werden das Experiment mit großer Aufmerksamkeit verfolgen: Denn in diesen Ländern sind die staatlichen Subventionen der PKW-Mobilität noch größer als in Ägypten.

(Dank an Frank)

Weiteres:

Energiewende: Künftig zwei Preiszonen für deutsche Stromverbraucher?

Die Transformation vom fossilen Energieversorgungssystem hin zu einem auf erneubaren Energiequellen basierenden Energieversorgungssystem nennen wir hierzulande seit dem Super-Gau in Fukushima "Energiewende". Naive Geister nehmen an, dass diese Energiewende nur durch den Austausch der Energiequellen vollzogen wird: Statt Kohle, Gas und Öl zu verbrennen werden Exergie-Potentiale durch Sonne, Wind, Biomasse, Erdwärme und Gezeiten genutzt. Wie bereits für Telepolis beschrieben sind diese Energiequellen jedoch ganz anders nutzbar. So sind Gas, Kohle und Öl bereits inhärent SPEICHER ihrer selbst, während alle erneuerbaren Energiequellen Exergie bereitstellen, die gesondert gespeichert werden muss. Sofern also nicht sämtliche Energieüberschüsse bequem weggespeichert werden können und diese Speichermengen ausreichend sind um in exergiearmen Zeiten jegliche Fehlmengen auszugleichen, wird das Energieversorgungssystem also größeren Schwankungen unterliegen.

Nun wird ein Phänomen diskutiert, was weitere Besonderheiten eines erneuerbarbasierten Energieversorgungssystems deutlich macht: Es könnte sein, dass Deutschland in zwei Preiszonen geteilt wird, in denen Exergie - im ersten Schritt elektrische Energie ("Strom") - unterschiedlich teuer ist. Im österreichischen Standard ist diese Überlegung überschrieben mit "Fliehkraft auf deutschem Strommarkt wächst" überschrieben und geteasert mit

Deutschland soll bei Strom in eine (billige) nördliche und eine (teure) südliche Preiszone geteilt werden. Österreich ist dagegen.

Hinter diesen Überlegungen steckt die Situation, dass im Norden Deutschlands vergleichsweise viel Strom verfügbar ist, weil im windreichen Norden viele Windkraftanlagen Strom ins Netz einspeisen. Im Süden Deutschlands ziehen nicht nur die industrieintensiven Branchen Bayerns und Baden-Würtembergs viel Elektroenergie aus den Netzen, offenbar bedient sich auch das österreichische Stromnetz aus dem deutschem Netz. Würden marktwirtschaftliche Prinzipien kleinräumig überall im Stromnetz gelten, so müßten im industriearmen Norden die Strompreise viel tiefer liegen, weil ein Überangebot vorhanden ist, während in Süddeutschland höhere Preise zu zahlen wären, weil mehr Strom verbraucht werden könnte, als aus lokalen Quellen gewonnen werden kann.

Technisch wäre dieses Ungleichgewicht behebbar durch mehr Stromleitungen, die den Strom von Nord nach Süd leiten. Doch gegen neue Stromtrassen wehren sich bereits heute zahlreiche Bürgerinitiativen und die lokale Politik. Gerade zwischen Thüringen und Bayern gibt es eine Allianz der Trassengegner, was angesichts der Leitungsästhetik verständlich ist. Mangels Leitungen wird jedoch das Überangebot im Norden und der Nachfrageüberhang im Süden nicht ausgeglichen. In einem marktwirtschaftlichen System würde das Ungleichgewicht durch unterschiedliche Preise reflektiert werden, doch in Deutschland gibt es nur eine Strombörse und die Regulatoren des "Marktes" halten eine einheitliche Preiszone aufrecht.

Die Diskussion rührt an einem Tabu. Es stellt die Gesellschaft vor das Dilemma: Entweder man besteht auf gleichen Lebensbedingungen für alle, und akzeptiert die sich daraus ergebenden Marktverzerrungen (und/oder baut Stromleitungen) oder man läßt den Marktdynamiken mehr Raum und läßt verschiedene Preiszonen zu. Ich denke, die Kräfte der Physik sind stärker als jene der Ökonomie und des Rechts, so dass Marktverzerrungen nur zeitweise und räumlich begrenzt widerstanden werden kann. Logisch klingt das allemal: Da an Nord- und Ostsee der Wind als Energiequelle stark und stetig verfügbar ist, ist das Energieangebot im Norden größer. Nutzbare Exergie sollte demnach billiger zu haben sein als im Süden, wo zwar die solare Einstrahlung größer, aber stärker schwankend ist, während zugleich die industriellen Stromverbraucher im Süden sehr stark sind. Marktwirtschaftliche Konsequenz wäre daher, dass schrumpfende Energiepreise im Norden für eine Wanderung der Verbraucher sorgen: Tendenziell könnten energieintensive Unternehmen an die Küste umsiedeln.

Das Beispiel zeigt, dass die Energiewende nicht damit zuende ist, Solarpanele und Windräder in die Welt zu stellen. Das Energieaufkommen sowohl räumlich/geografisch wie auch zeitlich verändert sich und schwankt, die Dynamik der Energieverteilung verändert sich. Die Transformationsschmerzen, die die Diskussion um mehrere Preiszonen sichtbar macht, werden nicht die letzten sein. Die Energiewende ist nicht allein eine Umstellung technischer Systeme. Die Energiewende ist eine Kulturwende.

Siehe auch:

Anderes:

Deutschland, Ukraine, Russland und die drohende Energiekrise

Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hat Wikileaks gestern fast 370.000 Nachrichten aus der US-Diplomatie von 1977 veröffentlicht: Die sogenannten "Carter Cables", benannt nach dem damals regierenden US-Präsidenten Jimmy Carter. Wer die bequeme wikileaks-Suchfunktion PlusD nach "Peak Oil" durchstöbert, findet 1140 Dokumente aus den Jahren 1973 bis 1977 und 2003 bis 2010. Darunter auch einen Bericht aus Thessaloniki vom 6. November 1973, betitelt mit "Treibstoffknappheit in Nord-Griechenland". Berichte über Knappheiten gab es nach dem Oktober 1973 aus verschiedenen Ländern in die USA zu vermelden, denn die erste Ölkrise war in vollem Gange. Was für ein Fundus für Geschichtsstudenten!

Es bleibt zu hoffen, dass der Konflikt um die Ukraine nicht zu ähnlichen Entwicklungen führt, wie damals. Das Potential dazu ist (leider) gegeben. Nachdem Europa sein Ölfördermaximum 1996 erreicht hat und seit 2002 die europäische Ölförderung zwischen 4 und 6% jährlich schrumpft, ist der "Marktanteil" russischen Öls in Deutschland enorm gestiegen. Jeder dritte hierzulande vertankte Liter Treibstoff oder Heizöl hat seinen Ursprung irgendwo in Russland:

Öl-Lieferländer-Deutschland-2013

Dennoch befinden sich Russland und Deutschland derzeit irgendwie auf Konfrontationskurs. Eine Situation, die scheinbar niemand vorhersah oder vorhersehen wollte, obwohl der Selbstversorgungsgrad Deutschlands mit Öl unter 3% und jener Europas unter 30% gesunken ist und obwohl die Gas-Streits zwischen Russland und der Ukraine seit 2006 regelmäßig eskalierten: Bis hin zu Druckabfällen in den Gaspipelines.

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Fracking für die Freiheit: Danke, Herr Fleischhauer!

Endlich sagt mal jemand in einem großen Leitmedium die unmißverständlichen Worte:

Es ist nicht besonders klug, sich von jemandem abhängig zu machen, den man für einen Despoten hält.

Danke, Herr Fleischhauer, dass Sie die Energiesituation Europas und Deutschlands (und Dresdens) mal so auf den Punkt bringen! Wir sind abhängig von russischen Öl- und Gaslieferungen und das schränkt unsere Handlungsmöglichkeiten auf dem politischen Parkett stark ein. Jederzeit kann uns der Hahn abgedreht werden. Und wir sollten uns, sagen Sie, besser nicht darauf verlassen, dass Putin von dieser Abhängigkeit keinen Gebrauch macht:

Putins Waffe ist unsere Energieabhängigkeit. Fast 40 Prozent der Erdgas-Importe beziehen wir aus dem Land, das wir jetzt gerne mit Strafandrohungen vom Schurkenstaat in eine gemäßigte Diktatur zurückverwandeln möchten. Bislang hieß es immer, die Russen würden nie wagen, uns das Gas zu sperren, weil sie sich einen Lieferstopp nicht erlauben könnten. Darauf wird man sich in Zukunft nicht mehr verlassen wollen.

Sie sagen es! Wir sollten uns nicht mehr darauf verlassen, dass uns die Grundlage unserer Energieversorgung entzogen wird. Da sind wir uns absolut einig! (mehr …)

Die Lira-Krise der Türkei und Peak Oil

Von 4,5 auf 10% hat die türkische Zentralbank den Leitzins in einem einzigen Schritt angehoben. Sie stemmt sich damit gegen den Kapitalabfluss aus dem Land, der in den vergangenen Wochen den Wechselkurs zwischen türkischer Lira und US-Dollar stark verändert hat. Kostete 1 US$ den Lira-Besitzer bis September vergangenen Jahres weniger als 2 Lira, so verteuerte sich der US$ bis Januar 2014 auf fast 2,50 Lira.

Die plötzliche Medienberichterstattung erinnert an Indien: Im August 2013, also kurz bevor auch die türkische Lira an Wert verlor, waren die Medien voll von Berichten über den Kursverfall der indischen Rupie. Eine Analyse der Ölförderung-/Ölimport-Situation Indiens ergab: Die in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Ölpreise führten dazu, dass die indische Wirtschaft ein Drittel seiner Exporterlöse direkt wieder für den Import von Öl ausgeben musste. Da Import-Export-Aktivitäten eines Landes immer dann mit Wechselkurs-Veränderungen einhergehen, wenn die Auslandsgeschäfte nicht mit der inländischen Währung abgewickelt werden können, liegt der Verdacht nahe: Auch die Türkei hat ein Ölproblem.

Wie untenstehendes Diagramm zeigt, verbraucht die Türkei wesentlich mehr Öl, als im Land gefördert wird. Der Selbstversorgungsgrad 2012 lag unter 10%: Über 600.000 Barrel werden seit 1996 täglich verkonsumiert (rote Kurve, linke Achse), während die Ölförderung ihr Maximum 1991 mit 81.000 Barrel Tagesförderung überschritt und 2012 bei niedrigen 56.000 Barrel lag (blaue Kurve, linke Achse):

Ölförderung, Ölverbrauch und Ölimportkosten Türkei

Die "Lücke" zwischen den beiden Kurven ist, was das Land importieren muss: Über 90% des Bedarfs.

Auch wenn die Kalkulation nicht korrekt ist, weil die Türkei auch größere Mengen raffinierte Treibstoffe (Benzin/Diesel/Kerosin) und nicht nur Rohöl importiert, zeigt die vereinfachte Rechnung dennoch das Problem: Die Importkosten für die Treib- und Heizstoffe explodierten mit dem Ölpreisanstieg von 2004 (gelbe Kurve, rechte Achse). 2011 und 2012 (und vermutlich auch 2013, die Zahlen liegen noch nicht vollständig vor) kostete der Ölimport jährlich über 25 Milliarden - zu zahlen in US-Dollar. Die Verfünffachung der Kosten binnen etwa 10 Jahren bei nahezu gleichbleibendem Ölverbrauch ist eine extreme Belastung.

Oberflächlich scheint das seit 3 Jahren relativ stabile globale Ölpreisniveau von 100 US$ pro Barrel keine Probleme zu machen. Das gilt aber offenbar nur für die Lebenswirklichkeit in Deutschland. Aus globalökonomischer Perspektive zeigt das Beispiel der Türkei (und Indiens) sehr anschaulich: Inzwischen müssen alle Ölimportländer seit 3 Jahren extrem hohe Kosten schultern, während eine Verringerung des Ölbedarfs offenbar nicht so einfach möglich ist.

Doch die systemische Reaktion ist bereits sichtbar, auch wenn sie mit Verzögerung einsetzt: Der Absturz des Lira-Wertes wird Öl für Lira-Besitzer noch teurer machen, als der in US$ gemessene Ölpreisanstieg. Zum Dollar-Anstieg seit 2004 multipliziert sich nun die Währungsabwertung hinzu. Dieser Wertverfall der Währung ist aus Ölgesichtspunkten nichts anderes, als die Einpreisung der Importabhängigkeit. Während der Petro-Dollar weiterhin den Vorzug genießt, Öl quasi "innerhalb des Währungsraumes handeln zu können" und damit keine Wechselkursrisiken "Öl zu Dollar" bestehen, hat jede andere Währung das Problem, ein Doppel-Risiko aushalten zu müssen: "Währung zu Dollar zu Öl". Die zweite Komponente des Risikos schlägt sich nun, nach dreijähriger Hochölpreis-Phase in den Wechselkursen nieder.

Öl wird für viele Türken teurer werden. Zwei mögliche Auswege gibt es daraus:

a) Die Ölnachfrage im Land sinkt, was die Transportleistung des Transportsektors schrumpft und damit auf Arbeitsteilung und Wirtschaftsdynamik rückwirkt - Ergebnis: Wirtschaftskrise.

b) Die türkische Wirtschaft schwingt sich zu einem Export-Schub auf, der die Ölimportkosten relativiert und den Wechselkurs dämpft.

Punkt b) ist in einer Welt unwahrscheinlich, in der die Mehrzahl der Länder dieselben Probleme hat: Als Netto-Ölimporteure suchen sie nach Strategien, mehr zu exportieren. In einer globalen Binnenwirtschaft ruft jedoch der Export des einen Wirtschaftsraums immer einen Import in einen anderen Wirtschaftsraum hervor. Es können schlicht nicht alle Länder Exportüberschüsse erwirtschaften, ohne dass andere Länder zugleich Exportunterschüsse/Importüberschüsse "erleiden". Der Rückgang der Ölnachfrage in der Türkei ist damit wahrscheinlich. Dieser wird in der Türkei als Krise wahrgenommen und es bleibt zu hoffen, dass die Krise als Transformationsprozess hin zu einer ölunabhängigeren Wirtschaftsweise genutzt wird.

Als Fazit muss gezogen werden: In historischen Maßstäben gemessen befinden wir uns bereits am Gipfel der globalen Ölförderung. Das US-Fracking liefert Peanuts im Vergleich zum weltweiten Ölverbrauch von über 80 Millionen Fass Öl am Tag - und sein Peak ist ebenfalls absehbar. Noch geht zwar die globale Ölfördermenge nicht (in den Statistiken) sichtbar zurück, aber das Preisniveau sorgt dafür, dass die Nachfrage sich bereits an den künftigen Abschwung der Förderkurve anpasst. (Die ersten Peak-Demand-Diskussionen kommen bereits auf, auch wenn der Unterton dieses Begriffs bislang ist: Die Nachfrage nach Öl geht "freiwillig" zurück, nicht etwa wegen nachfragesenkenden Krisenerscheinungen.)

Zuerst betroffen sind jene Länder, die hohe Ölimportquoten bei schwacher Exportwirtschaft kombinieren. Das mag auf den ersten Blick gut für Bewohner des exportstarken Deutschlands klingen, doch das stimmt nicht. Die deutsche Wirtschaft ist nur deshalb so exportstark, weil andere Länder so exportschwach/importstark sind. Mit 9% Importanteil am türkischen Gesamtimport ist die deutsche Wirtschaft auf Platz 2 der türkischen Lieferanten. Da die Lira-Krise den Import für Türken verteuert, wird die türkische Währungskrise auch Rückwirkungen auf den Exportweltmeister Deutschland haben. Wenn die Türkei ihre Importe zurückschraubt, weil sie durch den Währungsabsturz zu teuer werden, schrumpfen mit einiger Wahrscheinlichkeit auch die Exporte Deutschlands in das Land. Es sei denn, die deutsche Wirtschaft liefert Produkte, die den Transformationsprozess hin zu einer postfossilen Wirtschaft ermöglichen.

Größter Importeur in die Türkei war laut CIA-Factbook übrigens Russland. Wir dürfen raten, was die Russen insbesondere liefern...

PS: Die bei der EIA abrufbaren Monats-Daten zur Ölförderung in der Türkei liefern seit Januar 2011 übrigens ein seltsames Bild: Alle Zahlen enden auf 896 und es ändert sich nur der Tausender-Bereich zwischen 54 und 59, also sowas wie: 54.896, 58.896, 55.896. Wie "echt" diese Daten wirklich sind, dürfte wohl erst in ein paar Jahren sichtbar werden, wenn die türkischen Behörden ordentliche Statistiken liefern oder die EIA Zahlen ordentlich einpflegt. Türkischsprachige Leser können gern versuchen, mal auf den offiziellen Seiten der türkischen Behörden Daten zu bekommen...

Deutschlands Lieferländer 2012

Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) hat Import-Export-Statistiken auch für Erdöl. Deutschland, welches zu ca. 97% von Importen abhängig ist, hat eine Vielzahl an Lieferanten, wirklich bedeutsam sind aber nur eine Handvoll:

Öl-Lieferländer-Deutschland-2012

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Ex-UdSSR: Öl-Exportmengen sinken. Russland? Bald.

Matt Mushalik von crudeoilpeak.info bemerkt, dass die Ölexporte der Länder der früheren Sowjetunion (FSU=Former Sovjet Union) von 2010 bis 2012 um 5,5% gesunken sind. Dies ist für Deutschland relevant, weil 2011 ziemlich genau die Hälfte des zu 98% auf Ölimporte angewiesenen Landes aus diesen Ländern kommt. Insbesondere die Exporte aus der Schwarzmeerregion sanken. Dabei steigen die Fördermengen im wichtigsten Ex-Sowjet-Land - Russland - weiter an, laut EIA von 10,2 Millionen Fass pro Tag in 2011 auf 10,4 Millionen Fass pro Tag in 2012:

Russlands Öl 2012

Die russische Ölförderung stieg um 168.000 Tages-Fass an, der russische Eigenverbrauch um 140.000 Tages-Fass. Die Mengen, die zum Export zur Verfügung stehen ("Exportpotential") nahmen also um nur noch 18.000 28.000 Tages-Fass zu. Dass diese Mengen vollständig exportiert werden ist nicht sicher, da sie natürlich auch im Land gespeichert werden können. Angesichts der Größenordnungen der freien Exportkapazitäten von mehr als 7 Millionen Barrel täglich, ist dies ein nahezu unbedeutender Wert. Die graue Kurve zeigt daher seit 2007 ein Plateau. (Die Grafik stellt zudem eine Korrektur der EIA für den russischen Eigenverbrauch dar, der für 2011 in der Vergangenheit niedriger ausgewiesen wurde als nach der Korrektur.) (mehr …)