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Die Lira-Krise der Türkei und Peak Oil

Von 4,5 auf 10% hat die türkische Zentralbank den Leitzins in einem einzigen Schritt angehoben. Sie stemmt sich damit gegen den Kapitalabfluss aus dem Land, der in den vergangenen Wochen den Wechselkurs zwischen türkischer Lira und US-Dollar stark verändert hat. Kostete 1 US$ den Lira-Besitzer bis September vergangenen Jahres weniger als 2 Lira, so verteuerte sich der US$ bis Januar 2014 auf fast 2,50 Lira.

Die plötzliche Medienberichterstattung erinnert an Indien: Im August 2013, also kurz bevor auch die türkische Lira an Wert verlor, waren die Medien voll von Berichten über den Kursverfall der indischen Rupie. Eine Analyse der Ölförderung-/Ölimport-Situation Indiens ergab: Die in den vergangenen Jahren stark gestiegenen Ölpreise führten dazu, dass die indische Wirtschaft ein Drittel seiner Exporterlöse direkt wieder für den Import von Öl ausgeben musste. Da Import-Export-Aktivitäten eines Landes immer dann mit Wechselkurs-Veränderungen einhergehen, wenn die Auslandsgeschäfte nicht mit der inländischen Währung abgewickelt werden können, liegt der Verdacht nahe: Auch die Türkei hat ein Ölproblem.

Wie untenstehendes Diagramm zeigt, verbraucht die Türkei wesentlich mehr Öl, als im Land gefördert wird. Der Selbstversorgungsgrad 2012 lag unter 10%: Über 600.000 Barrel werden seit 1996 täglich verkonsumiert (rote Kurve, linke Achse), während die Ölförderung ihr Maximum 1991 mit 81.000 Barrel Tagesförderung überschritt und 2012 bei niedrigen 56.000 Barrel lag (blaue Kurve, linke Achse):

Ölförderung, Ölverbrauch und Ölimportkosten Türkei

Die "Lücke" zwischen den beiden Kurven ist, was das Land importieren muss: Über 90% des Bedarfs.

Auch wenn die Kalkulation nicht korrekt ist, weil die Türkei auch größere Mengen raffinierte Treibstoffe (Benzin/Diesel/Kerosin) und nicht nur Rohöl importiert, zeigt die vereinfachte Rechnung dennoch das Problem: Die Importkosten für die Treib- und Heizstoffe explodierten mit dem Ölpreisanstieg von 2004 (gelbe Kurve, rechte Achse). 2011 und 2012 (und vermutlich auch 2013, die Zahlen liegen noch nicht vollständig vor) kostete der Ölimport jährlich über 25 Milliarden - zu zahlen in US-Dollar. Die Verfünffachung der Kosten binnen etwa 10 Jahren bei nahezu gleichbleibendem Ölverbrauch ist eine extreme Belastung.

Oberflächlich scheint das seit 3 Jahren relativ stabile globale Ölpreisniveau von 100 US$ pro Barrel keine Probleme zu machen. Das gilt aber offenbar nur für die Lebenswirklichkeit in Deutschland. Aus globalökonomischer Perspektive zeigt das Beispiel der Türkei (und Indiens) sehr anschaulich: Inzwischen müssen alle Ölimportländer seit 3 Jahren extrem hohe Kosten schultern, während eine Verringerung des Ölbedarfs offenbar nicht so einfach möglich ist.

Doch die systemische Reaktion ist bereits sichtbar, auch wenn sie mit Verzögerung einsetzt: Der Absturz des Lira-Wertes wird Öl für Lira-Besitzer noch teurer machen, als der in US$ gemessene Ölpreisanstieg. Zum Dollar-Anstieg seit 2004 multipliziert sich nun die Währungsabwertung hinzu. Dieser Wertverfall der Währung ist aus Ölgesichtspunkten nichts anderes, als die Einpreisung der Importabhängigkeit. Während der Petro-Dollar weiterhin den Vorzug genießt, Öl quasi "innerhalb des Währungsraumes handeln zu können" und damit keine Wechselkursrisiken "Öl zu Dollar" bestehen, hat jede andere Währung das Problem, ein Doppel-Risiko aushalten zu müssen: "Währung zu Dollar zu Öl". Die zweite Komponente des Risikos schlägt sich nun, nach dreijähriger Hochölpreis-Phase in den Wechselkursen nieder.

Öl wird für viele Türken teurer werden. Zwei mögliche Auswege gibt es daraus:

a) Die Ölnachfrage im Land sinkt, was die Transportleistung des Transportsektors schrumpft und damit auf Arbeitsteilung und Wirtschaftsdynamik rückwirkt - Ergebnis: Wirtschaftskrise.

b) Die türkische Wirtschaft schwingt sich zu einem Export-Schub auf, der die Ölimportkosten relativiert und den Wechselkurs dämpft.

Punkt b) ist in einer Welt unwahrscheinlich, in der die Mehrzahl der Länder dieselben Probleme hat: Als Netto-Ölimporteure suchen sie nach Strategien, mehr zu exportieren. In einer globalen Binnenwirtschaft ruft jedoch der Export des einen Wirtschaftsraums immer einen Import in einen anderen Wirtschaftsraum hervor. Es können schlicht nicht alle Länder Exportüberschüsse erwirtschaften, ohne dass andere Länder zugleich Exportunterschüsse/Importüberschüsse "erleiden". Der Rückgang der Ölnachfrage in der Türkei ist damit wahrscheinlich. Dieser wird in der Türkei als Krise wahrgenommen und es bleibt zu hoffen, dass die Krise als Transformationsprozess hin zu einer ölunabhängigeren Wirtschaftsweise genutzt wird.

Als Fazit muss gezogen werden: In historischen Maßstäben gemessen befinden wir uns bereits am Gipfel der globalen Ölförderung. Das US-Fracking liefert Peanuts im Vergleich zum weltweiten Ölverbrauch von über 80 Millionen Fass Öl am Tag - und sein Peak ist ebenfalls absehbar. Noch geht zwar die globale Ölfördermenge nicht (in den Statistiken) sichtbar zurück, aber das Preisniveau sorgt dafür, dass die Nachfrage sich bereits an den künftigen Abschwung der Förderkurve anpasst. (Die ersten Peak-Demand-Diskussionen kommen bereits auf, auch wenn der Unterton dieses Begriffs bislang ist: Die Nachfrage nach Öl geht "freiwillig" zurück, nicht etwa wegen nachfragesenkenden Krisenerscheinungen.)

Zuerst betroffen sind jene Länder, die hohe Ölimportquoten bei schwacher Exportwirtschaft kombinieren. Das mag auf den ersten Blick gut für Bewohner des exportstarken Deutschlands klingen, doch das stimmt nicht. Die deutsche Wirtschaft ist nur deshalb so exportstark, weil andere Länder so exportschwach/importstark sind. Mit 9% Importanteil am türkischen Gesamtimport ist die deutsche Wirtschaft auf Platz 2 der türkischen Lieferanten. Da die Lira-Krise den Import für Türken verteuert, wird die türkische Währungskrise auch Rückwirkungen auf den Exportweltmeister Deutschland haben. Wenn die Türkei ihre Importe zurückschraubt, weil sie durch den Währungsabsturz zu teuer werden, schrumpfen mit einiger Wahrscheinlichkeit auch die Exporte Deutschlands in das Land. Es sei denn, die deutsche Wirtschaft liefert Produkte, die den Transformationsprozess hin zu einer postfossilen Wirtschaft ermöglichen.

Größter Importeur in die Türkei war laut CIA-Factbook übrigens Russland. Wir dürfen raten, was die Russen insbesondere liefern...

PS: Die bei der EIA abrufbaren Monats-Daten zur Ölförderung in der Türkei liefern seit Januar 2011 übrigens ein seltsames Bild: Alle Zahlen enden auf 896 und es ändert sich nur der Tausender-Bereich zwischen 54 und 59, also sowas wie: 54.896, 58.896, 55.896. Wie "echt" diese Daten wirklich sind, dürfte wohl erst in ein paar Jahren sichtbar werden, wenn die türkischen Behörden ordentliche Statistiken liefern oder die EIA Zahlen ordentlich einpflegt. Türkischsprachige Leser können gern versuchen, mal auf den offiziellen Seiten der türkischen Behörden Daten zu bekommen...

Ex-UdSSR: Öl-Exportmengen sinken. Russland? Bald.

Matt Mushalik von crudeoilpeak.info bemerkt, dass die Ölexporte der Länder der früheren Sowjetunion (FSU=Former Sovjet Union) von 2010 bis 2012 um 5,5% gesunken sind. Dies ist für Deutschland relevant, weil 2011 ziemlich genau die Hälfte des zu 98% auf Ölimporte angewiesenen Landes aus diesen Ländern kommt. Insbesondere die Exporte aus der Schwarzmeerregion sanken. Dabei steigen die Fördermengen im wichtigsten Ex-Sowjet-Land - Russland - weiter an, laut EIA von 10,2 Millionen Fass pro Tag in 2011 auf 10,4 Millionen Fass pro Tag in 2012:

Russlands Öl 2012

Die russische Ölförderung stieg um 168.000 Tages-Fass an, der russische Eigenverbrauch um 140.000 Tages-Fass. Die Mengen, die zum Export zur Verfügung stehen ("Exportpotential") nahmen also um nur noch 18.000 28.000 Tages-Fass zu. Dass diese Mengen vollständig exportiert werden ist nicht sicher, da sie natürlich auch im Land gespeichert werden können. Angesichts der Größenordnungen der freien Exportkapazitäten von mehr als 7 Millionen Barrel täglich, ist dies ein nahezu unbedeutender Wert. Die graue Kurve zeigt daher seit 2007 ein Plateau. (Die Grafik stellt zudem eine Korrektur der EIA für den russischen Eigenverbrauch dar, der für 2011 in der Vergangenheit niedriger ausgewiesen wurde als nach der Korrektur.) (mehr …)

ExxonMobil zwischen Kurdistan, Irak und China

Der Irak ist eine der größten Ölhoffnungen: Ihm widmete der jüngste Jahresbericht (WEO) der Internationalen Energieagentur ein eigenes Kapitel. Dabei ist aus geostrategischer Sicht nicht nur wichtig, wie schnell die fünftgrößten Ölreserven der Welt ausgebeutet werden, sondern auch, durch wen das geschieht. SPIEGEL ONLINE berichtete jüngst, dass einer der drei großen chinesischen Energiekonzerne, PetroChina, den Anteil von Exxon Mobil an dessen südöstlichem Ölfeld West Kurna-1 (West Qurna 1) übernehmen könnte. West Kurna ist mit 43 Milliarden Barrel förderbaren Reserven das zweitgrößte Ölfeld der Welt, direkt nach dem saudischen Ölfeld Ghawar. Exxon Mobil hält seit Anfang 2010 60% an den Förderrechten, 15% hält Shell und 25% das irakische Staatsunternehmen Oil Exploration Company. Bis zum Sturz Saddam Husseins war es der russische Lukoil-Konzern, der West Kurna entwickelte, und der jetzt nur noch an West Kurna 2 beteiligt ist. (mehr …)

Iran: Der angekündigte Krieg

Im Konflikt zwischen Israel, den USA und dem Iran verschärft sich die Situation. Das israelische Militär testete jüngst ein Warnsystem, indem Mobilfunknachrichten über mögliche Raketenangriffe an die israelische Bevölkerung verschickt wurden. Auch wurde die Bevölkerung aufgefordert, sich mit Gasmasken auszustatten und ein (anonymes, aber wohl dem Verteidigungsminister zuzuordnendes) Haaretz-Interview spricht sich für einen Präventivschlag noch vor den US-Wahlen am 6. November aus. Ministerpräsident Netanjahu hat den ehemaligen Chef des Inlandsgeheimdienstes Avi Dichter zum neuen Minister für Zivilverteidigung berufen. Proteste gegen einen möglichen Krieg sowie die Sorge, dass Israel von verschiedenen Seiten angegriffen werden könnte, mischen sich in die Berichterstattung. (mehr …)

Heisser Herbst am Mittelmeer

... so beschreibt es der Tagesspiegel und die Wiener Zeitung. Der griechische Teil Zyperns will mit Probebohrungen nach Erdgas beginnen. Dazu haben die Zyprioten bereits vergangenes Jahr ein Abkommen mit Israel über die Grenzziehungen zwischen beiden Ländern geschlossen. Die Türkei hat nun mit dem türkischen Teil Zyperns ein vergleichbares Abkommen geschlossen, ebenfalls um Probebohrungen zu ermöglichen:

"Binnen einer Woche beginnen die Türkei und Nordzypern mit der Gewinnung von Öl und Gas in der ausschließlichen Wirtschaftszone Nordzyperns", kündigte Erdogan gleich nach der Unterzeichnung des Abkommens an. Die Türkei werde Kriegsschiffe und Kampfflugzeuge in die Region entsenden, die die "Situation kontrollieren" sollen.

Internationale Öl- und Gaskonzerne wurden von türkischer Seite gewarnt, sich nicht an einer Ausbeutung der Rohstoffe zu beteiligen.

Die Türkei liegt mit Israel im Streit um den Übergriff auf einen Hilfskonvoi, Griechenland steht vor dem Staatsbankrott, in Syrien brodelt eine Revolution (die die EU mit einem Ölembargo anfeuert) und in Ägypten sind noch ihre Nachwirkungen spürbar - alles Anrainer am Mittelmeer, in dem jetzt mit Öl und Gas gezündelt wird.

Griechisches Öl

Die brodelnde Gerüchteküche um den drohenden Staatsbankrott Griechenlands hat jetzt den kommenden Dienstag auserkoren, um die Pleite zu verkünden. An diesem Tag werden Ausschüttungen von 769 Millionen Euro für alte Kredite fällig und es ist fraglich, ob der griechische Staat das Geld besorgen kann.

Zugleich gibt es Meldungen, dass das Land verstärkt in seine Ölförderung investieren will, was einen Blick auf die griechischen Zahlen sinnvoll macht: (mehr …)