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Die Ägypten-Krise und das Öl

Erdöl hat zweierlei Bedeutung für die aktuelle Ägypten-Krise:

  1. Treibstoffe sind in den vergangenen Jahren in Ägypten immer knapper geworden und die erste demokratisch gewählte Regierung der Muslimbrüder konnte dieses und weitere Probleme nicht lösen und wurde unter anderem wegen der resultierenden wirtschaftlichen Probleme jüngst vom Militär hinweggeputscht.
  2. Durch Ägypten verläuft der Suez-Kanal und parallel zum Suez-Kanal die SUMED-Pipeline. Zusammen transportieren sie 2,9 Millionen Barrel Erdöl pro Tag, die insbesondere südeuropäische Länder aber auch Nordamerika versorgen (so sagt es die EIA). Der jüngste schnelle Preisanstieg im nordamerikanischen WTI-Öl-Markt über die 100-Dollar-Grenze kann darauf zurückgeführt werden: Instabilitäten in Ägypten und ein drohender Bürgerkrieg würden die Öl-Transportrouten in Gefahr bringen.

Ägypten war historisch schon mehrfach in Ereignisse verwickelt, die zu weltweiten Ölpreisanstiegen führten: Die Suez-Krise 1956 wurde durch eine Verstaatlichung des Suez-Kanals durch Ägypten ausgelöst, in dessen Folge Großbritannien, Frankreich und Israel militärisch eingriffen, um die strategisch bedeutsame Route wieder in französisch-britische Hand zu bekommen, in der sich der Kanal bis dahin befand. Das gelang nicht, Eigentümer des Kanals ist heute eine ägyptische Behörde namens Suez Canal Authority. Die Suez-Krise führte jedoch zu einer Unterbrechung der Öl- und Güterversorgung über diesen Schifffahrtsweg. In Deutschland stiegen die Benzinpreise damals um 5 und die Dieselpreise um 10%, in den USA um 10 bzw. 20%, was zu Fragen nach den Geschäftspraktiken der US-Ölkonzerne führte. Immerhin waren die USA damals noch weltgrößter Ölförderer und nicht wie heute auf enorme Importe angewiesen. Nach dem 6-Tage-Krieg im Juni 1967 (Auslöser: die Sperrung der Wasser-Straße von Tiran für israelische Schiffe durch Ägypten) blieb der Suez-Kanal bis 1975 gesperrt. Alle Schiffe, die beispielsweise aus dem arabischen Raum die USA erreichen wollten, mussten die um 30% längere Route um die Südspitze Afrikas nehmen - ein Risiko, was eine heutige Sperrung des Suez-Kanals wieder mit sich bringen würde. Längere Routen bedeuten längere Transportzeiten bedeuten geringere Ölimporte sowohl für Europa wie auch Nordamerika. Dieses Risiko dürfte es hauptsächlich sein, die den WTI-Ölpreis derzeit steigen läßt.

Ägypten fördert heute zwar immer noch 700.000 Barrel Erdöl am Tag, doch stagniert diese Menge seit 2001 und lag zuvor noch bei 900.000 Barrel täglich (blaue Linie):

Erdoel_und_Aegypten

Der Eigenverbrauch nahm derart zu, dass das Land seit 2004 Netto-Erdöl-Importeur ist. Das mag daran liegen, dass Benzin und Diesel subventionierte Produkte sind. Über die Hälfte der staatlichen Subventionen wurden 2011 noch für Treibstoff-Verbilligungen ausgegeben. Den Abbau der gewachsenen Subventionskultur hatte weder die diktatorische Regierung unter Mubarak noch die Muslimbrüder-Regierung unter Mursi geschafft. Andererseits würde ein Zurückfahren der Subventionen zwar den Staatshaushalt entlasten, aber die Bürger noch mehr belasten, was angesichts der offenbar schlechten wirtschaftlichen Lage das Problem nur verlagert, aber nur begrenzt löst. Die von Ägypten exportierten Mengen (orange) lagen vor 20 Jahren noch bei interessanten 400.000 Barrel pro Tag und dürften zu entsprechenden Erlösen geführt haben. Mit dem Überschreiten des ägyptischen Peak Oil und ohne Subventionsänderung ist das Land heute aber sowohl von Rohöl-Importen wie auch von Importen von Benzin und Diesel abhängig - und entsprechend fließt Kaufkraft aus dem Land statt hineinzufließen. Die ägyptische Revolution hat zudem die Touristen ferngehalten, die zuvor Geld ins Land brachten. Man kann vermuten, dass die Unzufriedenheit mit der Präsidentschaft Mursis nicht so sehr mit politischen Fragestellungen als mehr mit der wirtschaftlichen Situation im Land zu tun haben könnte. Darauf deutet auch hin, dass nahezu alle Presseberichte über den Alltag in Ägypten auf Benzinknappheit und Warteschlangen an Tankstellen verweisen.

Ein aktueller Presse-Bericht in der ZEIT verweist darauf, dass es plötzlich nach Mursis Absetzung wieder Benzin gibt und auch die Stromausfälle zurückgegangen sind. Das nährt Gerüchte um eine Verschwörung und zeigt andererseits, wie leicht sich mit Energie und Rationierung Politik machen läßt. Es dürfte leicht sein, kurzfristig für eine bessere Treibstoffversorgung zu sorgen und dafür Geld in die Hand zu nehmen. Mittel- bis langfristig steckt Ägypten aber in einer Falle:

Das Überschreiten des ägyptischen Peak Oil senkte die Öl-Exporterlöse und führte durch steigende Öl-Importe sogar zu Kaufkraftabfluss ins Ausland. Dieser Wandel von einer Ölexportnation zur Ölimportnation geschah während der Phase stark steigender Ölpreise. Frühere Erlöse durch das Öl wurden ersetzt durch Kosten, was die Lage des Staatshaushalts und dadurch auch die wirtschaftliche Lage verschlechterte. Die resultierende politische Lage ist deshalb von Unruhe geprägt und eben diese Unruhe läßt die Ölpreise steigen und verschlechtert damit die Situation im Land weiter. Ägypten ist somit derzeit Ursache für die Preissteigerungen, die Preissteigerungen ihrerseits sind Mit-Ursache für die Unruhe im Land. Ein Teufelskreis.

Wie richtig die Ölhändler mit ihrer Einschätzung liegen, dass von Ägypten Probleme ausgehen könnten, zeigt ein Anschlag von gestern: Auf der Sinai-Halbinsel wurde eine Gaspipeline Richtung Jordanien gesprengt. Der Sinai gilt zunehmend als von Kairo aus unregierbare Region, Telepolis fragt, ob dort das nächste "Talibanistan" entstehen könnte.

Die Verbindung zwischen Ägyptens Unruhe und den Veränderungen am Ölmarkt scheinen in der deutschen Politik keine Rolle zu spielen. Für die WELT schildert der Unionsfraktionschef Volker Kauder, wie er die Ägypten-Krise sieht und in welcher Form sich Europa einbringen sollte. Auch Wirtschaftsfragen spricht er an, hier aber die üblichen Stichworte: Armut und Arbeitslosigkeit. Energie und speziell Öl wird nicht angesprochen. Wie will man eine Wirtschaft aufbauen, deren Transportsystem zu großen Teilen auf einem knappen und teuren Rohstoff basiert, der in Zukunft noch knapper und noch teurer wird? Nur durch einen Paradigmenwechsel. Ein Regierungswechsel dürfte da kaum reichen.

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4 Kommentare to “Die Ägypten-Krise und das Öl”

  1. Florian Hoppe sagt:

    Um Jeff Rubin zu zitieren:

    “Regimewechsel sind nie gut für die Ölproduktion”.

    Ein Beispiel.

    Durch den Sturz Mubaraks verloren Israel und Syrien ihren Zugang zu ägyptischen Gas, welches durch eine Pipeline auf der Sinai Halbinsel in die Regionen fließt. Diese Pipline wird nun regelmässig bebombt.

    Dadurch verlor Israel 40% seiner Gasversorgung, Jordanien sogar 80%.

    Jordanien ist nun von Gas aus dem Iran abhängig, während Israel und die Türkei auf Konfrontationskurs wegen Quellen unter dem Mittelmeer sind.

    (All diese Infos stammen aus Rubins “The End of Growth”.)

  2. Wieder mal ein super Beitrag. Danke!

    Es haut sogar mich mit mehr pessimistischer Einstellung um, wie sehr sich die Probleme quadrieren, wenn die *Durchblutung* der Wirtschaft mit frischem Öl nur leicht ins stocken gerät.

    Einfach der absolute Wahnsinn.
    Das habe nicht einmal ich erwartet, dass die Einsicht zu notwendiger Sparsamkeit wegen Mangel an Ressourcen praktisch gegen Null tendiert.
    Die wenigen die es tun, werden von der Masse wahrscheinlich einfach verlacht und überrannt oder erst gar nicht wahrgenommen.

    • Norbert Rost sagt:

      @Stefan: Angesichts der Verwobenheit aller unserer Lebenselemente mit anderen, ist es sowieso wenig zielführend, dass “wenige es tun”. Sie mögen als Vorbilder fungieren und zeigen, was lebbar ist. Relevanz hat eine Öl-Abkehr sowieso nur, wenn sie systemisch passiert: Also auf einer Ebene, die all die miteinander verwobenen Lebenselemente einbezieht. Ich plädiere weiterhin dafür, die kommunale Ebene als Zielebene zu sehen und dort hartnäckig (aber nicht penetrant) zu “lobbyieren”. Immer wieder den Aspekt in den Vordergrund schieben: Kommunen haben die Verantwortung der Daseinsvorsorge. Diese Verantwortung gilt es einzufordern und dazu aufzurufen, die kommunale Verletzlichkeit gegenüber Ölkrisen zu prüfen und die Strukturen so zu ertüchtigen, dass das System (Kommune) robuster wird.

      Das muss als fortwährendes Mantra in die Kommunen getragen werden – auf verschiedenen Wegen, möglichst von verschiedenen Akteuren und immer wieder von neuen Seiten beleuchtet.

      Wie das gehen kann, haben wir mit “Dresden auf Entzug” gezeigt (am 30.09. gibt es “Weimar auf Entzug”!), es haben die Münsteraner Studenten gezeigt, als sie einen Peak-Oil-Bericht für die Stadt gebaut haben, es zeigen viele Transition-Akteure. Dass das Mantra noch zu leise ist, sollte als Herausforderung gelten. Als Anreiz in einem “Spiel”. Ein Spiel, das wir verloren geben können – und bei dem es deshalb nicht mehr viel zu verlieren gibt…

      Also: Termine in der Gemeindeverwaltung machen, bei den Gemeinderäten, bei den Vereinen und Verbünden vor Ort, Mantra, Mantra, Mantra…

  3. […] der die Ölpreise sinken läßt, was insbesondere die Ägypten-Krise zeigt, deren Beginn zugleich Auslöser für den jüngsten Ölpreisanstieg war. Jason Lejonvarn von Hermes Commodities argumentiert daher gegenläufig: Der aktuelle […]

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