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Leben in Transition Towns

Wo wir heute stehen ist ein Punkt, der bereits hinter der Kreuzung liegt. Entscheidungen, die ein Abbiegen auf steuerbare Wege möglich gemacht hätten, waren vor einiger Zeit noch denkbar, jetzt ist die Reise eher vergleichbar mit der Dynamik einer Bootsfahrt auf einem Bach. Die Geschwindigkeit des Wassers ist so groß, dass unsere Aufmerksamkeit sich nahezu ausschließlich darauf richtet, das Boot nicht kentern zu lassen, aber wir haben keine nennenswerten Kapazitäten, die Richtung zu wechseln, gegen die Strömung zu rudern oder gar unser Boot ans Ufer zu bringen. Wir haben Fahrt aufgenommen. Wohin die Reise führt ist ungewiss, sicher ist nur: Wir bewegen uns.

Belege? Die Internationale Energieagentur sieht keine ausreichenden Aktivitäten beim Klimaschutz, inzwischen wird nicht mehr von 2, sondern von 6 Grad Temperaturänderung gesprochen. Angela Merkel sieht die Finanzkrise die nächsten 10 Jahre andauern und Dennis Meadows verspricht uns in den kommenden 20 Jahren mehr Wandel als im vergangenen Jahrhundert. "Unfixable", nicht reparierbar, hat Chris Martenson seinen Vortrag vom 16. November in Madrid genannt. Die Suche nach Öl und Erdgas in Grönland wurde von der Firma Cairn Energy nach Investitionen von 600 Millionen US$ jetzt vorerst ergebnislos abgebrochen. Große Hoffnungen hatte man auf die Insel im Norden gesetzt. Zeitgleich droht der Iran als Reaktion auf die Embargo-Pläne (die offenbar unter den EU-Außenministern bislang keine Einigung fanden) mit höheren Ölpreisen. Der Peak scheint nahe.

Doch das Leben geht weiter. Nur: Wohin? Lichtblicke sind angesichts der verfahrenen Situation selten. Eines der wenigen Lichter am Tunnelende ist die Idee der Transition Towns, der "Städte im Wandel". Die Idee: Ausgehend von bürgerschaftlichem Engagement gemeinsam mit Unternehmen und Stadtverwaltung unsere Städte und Dörfer auf die Zeit hoher Ölpreise vorbereiten. Mit Kopf, Herz und Händen, also mit Verstand und Analyse, mit Gefühl, Empathie und Gemeinschaftssinn und mit den eigenen Händen. Über 1000 Menschen sind inzwischen auf transition-initiativen.de angemeldet, der deutschsprachigen Vernetzungs-Plattform für solche Aktivitäten. Theoriengeber für den Weg zu mehr Krisenfestigkeit in unseren Kommunen ist unter anderem Niko Paech, der im Interview unsere heutige Wirtschafts- und Gesellschaftsform schonmal mit einer Party vergleicht, auf der alle wissen, dass sie zuende geht, aber keiner will der erste sein, der zum Aufbruch in den neuen Tag bläst. Paech, dessen Schwerpunktthema Wirtschaftsformen ohne Wachstum sind ("Postwachstumsökonomie") kritisierte mehrfach scharf den Nachhaltigkeitsfimmel, der seine Höchstform im Greenwashing findet: Dem so tun, als würde man besonders umweltbewusst wirken, doch eigentlich wird dem üblichen Verhalten nur anderslautende Öffentlichkeitsarbeit gegenübergestellt. Laut Paech gibt es keine "nachhaltigen Produkte", es gibt nur nachhaltige Lebensstile. Da jedes Produkt mit Ressourcenverbrauch einhergeht, ist die konsequente Form der Nachhaltigkeit der Nicht-Kauf und nicht der Kauf von Waren mit neuem grünem Label. Laut Dennis Meadows ist die Zeit für Nachhaltigkeitsstrategien sowieso vorbei. Nun, so sagte er im Bundestag, gehe es um Krisenfestigkeit.

Wie gestaltet man Stadt, wenn der Sprit 2,50 Euro kostet? Was müßte heute schon entschieden werden wenn klar wäre, dass in 2030 hiesige Kommunen ohne Mineralöl auskommen müssen? Solcherart Leitfragen müßten zur täglichen Debatte in den Gemeinderäten gehören. So lange dort keine weitreichenderen Entscheidungen getroffen werden, bietet das Transition-Modell jedem Bürger Wege zum Handeln, indem Wege aufgezeigt werden, wenigstens die persönliche Krisenfestigkeit zu stärken: Mental aber auch physisch, durch Änderungen im eigenen Verhalten, durch Bürgergärten in der Stadt, durch Teilnahme an Tauschringen, den Ausbau des eigenen sozialen Netzes. Man mag diese Beispiele unbedeutsam finden angesichts der globalen Bedrohungen, doch sie sind sehr wohl wichtig für jene, die nicht in Schockstarre verharren wollen oder sich mit Appellen an eine anonyme und schlecht beeinflussbare Politik begnügen. Dass solche "kleinen Schritte" sinnvoll sind und selbst Banalitäten längst nicht bei jedem Menschen angekommen sind, bezeugen die alljährlichen Tipps "wie heize und lüfte ich richtig" - jüngst bei SPIEGEL ONLINE.

Wer Lust auf diese Modelle verspürt, kann sich mit frischen Audio-Beiträgen beim WDR5 oder bei DRadio Wissen vertraut machen:

Diese Wege werden längst nicht nur von "Ökos" beschritten, denn die Widersprüchlichkeit in unserem System und unserem Handeln sickert zunehmend auch ins bürgerliche und unternehmerische Lager. Dazu trugen auch Bücher wie "Warum die Welt immer kleiner wird" des kanadischen Ökonomen Jeff Rubin bei. Wer Heinrich Staudinger, österreichischer Schuh-Fabrikant zuhört, bekommt ein Gefühl dafür, wie Wirtschaft noch denkbar ist.

Wer die Zukunft des Kontinents sehen will, die sich ergibt, wenn das Finanzsystem nicht stabilisiert werden kann oder wenn Ölpreise im Vergleich zum Einkommen steigen, der sollte Blicke nach Griechenland werfen. Krisenfestigkeit als Zielstellung muss man nicht aus Klimawandel, Peak Oil oder Wirtschaftskrise ableiten, rein aus systemischen Gründen macht es Sinn, unsere Gemeinden nicht nur in den Wettbewerb um Touristen, in den Standortwettbewerb oder in einen Wettbewerb um Zuwanderer zu schicken. Die Idee der Lokalisierung/Regionalisierung von Versorgungsstrukturen dürfte künftig als Wettbewerbsvorteil gelten, denn es könnte für die Lebensqualität in Kommunen entscheidend sein, wie (un)abhängig sie vom Erdöl sind.

Für Peak Oil, so stellen wir fest, gibt es keine einfachen Lösungen. Es mag intelligente Antworten geben, aber sie liegen längst nicht offen vor uns. Sie müssen entwickelt werden. Dabei steht nicht mehr infrage, ob wir uns darum kümmern wollen. Wir sind längst auf einem Weg, der uns in eine neue Gesellschaftsform treibt. Die Wahl, die wir noch haben ist, diese neue Form mitzugestalten. Der Transition-Kultur ist der Versuch, einen konstruktiven Weg aufzuzeigen. Wie er im Detail ausieht, werden die Bewohner jener Kommunen entscheiden, die sich aufmachen, ihn auszuprobieren.

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