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Das Unerwartete erwarten? – Strategie in einer Welt der Ungewissheit

 

“Things that can’t go on forever usually don’t.”

Gary Hamel

 

Strategien sind Pfade der Interessenvertretung. Sie sind die Wegbereiter für Handlungsweisen, Umgangsarten und Dialogformen, um bestimmte partikulare Ziele zu erreichen. Strategien sind aber auch Vehikel der Unsicherheitsabsorption, denn die eingeschlagenen Strategiepfade dienen oft auch dazu, das Unerwartete aufzufangen und in nutzbringende Bahnen zu lenken.

So kommt es nicht von ungefähr, dass das „Strategische Management“ in großen Unternehmen einen prominenten Platz einnimmt. Was aber wird da eigentlich als Strategie bezeichnet? Welche Pfade der Interessenvertretung sind jene, die zeitgenössisch einer besonders hohen Frequentierung unterliegen? Oder spezifischer gefragt: Auf welchen strategischen Pfaden bewegen sich die „großen Akteure“ der Wirtschaft, um den aktuellen, wachstumsbedingten Krisentendenzen beizukommen? Um es vorwegzunehmen: Es sind recht einseitige Pfade, deren Wirksamkeit von wenigen Faktoren abhängt.

Die These dieses Beitrags ist daher folgende: Entwicklungsstrategien tendieren vor allem in großen Unternehmen immer mehr zu einem Synonym für Machtausübung und externe Kontrolle zu werden. Die folgenden Ausführungen sollen den Gehalt der These belegen und aufzeigen, warum jene Tendenz aktuell besonders relevant ist.

Viele der zeitgenössischen „Krisen“ sind durch ihren hohen Grad an Ungewissheit und Komplexität sowie ihren nicht-linearen Charakter gekennzeichnet sind. Dazu zählen die sprunghaften Auswirkungen des Klimawandels, die Ungewissheiten stark volatiler Ressourcenmärkte oder die „Buchgeld-Blasen“ intransparenter Schuldenbündel (Derivate) an den Sekundärmärkten der Finanzbranche. Für robuste Unternehmensstrategien, eröffnen diese Entwicklungen einen riesigen Problemkorridor der globalen Unsicherheit. Sie erzeugen ein Vakuum, welches radikale Lösungen favorisiert.

Wirtschaftliche Wachstumsimpulse, deren Nebenwirkungen mit den Interessen des Gemeinwohls kollidieren, werden zunehmend mit Mitteln der Macht und Kontrolle untermauert. Verwunderlich ist dies nicht, denn evidente soziale Krisentendenzen und harsche ökologische Risiken, erfordern ja eigentlich bewusste ökonomische Korrekturen im „großen Stile“. Jene ließen möglicherweise über ernsthaft freie Märkte verhandeln. Auf einer transnationalen Bühne, bevölkert von global agierenden Konzernen, verschwinden diese Märkte jedoch in einem Konglomerat aus Lobbyismus, Investorenrecht und steigender nationaler Deregulierung. Jene Entwicklungspfade, weg von den offenen Märkten, welche natürlicherweise auch Ungewissheit und Unsicherheit mit sich bringen, kann durchaus als eine neue Ära von Strategie bezeichnet werden.

„Märkte“ werden nicht mehr als das offene Spielfeld eines wirtschaftlichen Wettbewerbs angesehen, sondern als ein strategischer Systembaukasten für Machtallianzen, politische Beeinflussungen (Lobbyismus) und indirekte Wettbewerbsunterbindung. Ein solches Strategieverständnis ist jedoch nichts anderes, als modernes Marktdesign in privater Hand. Resultat dessen ist eine von partikularen Interessen geleitete chronische Marktverzerrung. Die Werkzeuge, die jene Verzerrungen des Spielfeldes erst möglich machen, sind machtvolle Beziehungsnetzwerke sowie Drehtürphänomene zwischen staatlichen Behörden, Ministerien und dem oberen Management der Großkonzerne. Man denke nur an Gerhard Schröder und sein politisches Sprungbrett zur Chefetage Gazprom‘s.

Viele Großunternehmen befinden sich in Bezug auf die Größenordnungen ihrer Externalisierung (Kostenabwälzung auf die Allgemeinheit) heute inmitten eines Raubzugs gegen die Naturressourcen und die Lebenschancen zukünftiger Generationen. Lediglich langatmige Subventionen und ein extrem progressiver Lobbyismus, halten das Trugbild vieler altgedienter „Wohlstandsgeneratoren“ noch im gesellschaftlichen Gedächtnis. Die Zementierung jener Geschäftsmodelle auf unfreien Märkten verursacht jedoch einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden und hat mit den dynamisch-egalitären „Spielfeldern“ der klassisch-liberalen Wirtschaftsmodelle rein gar nichts mehr zu tun.

Eines ist sicher: Wenn Strategien darauf abzielen, systemrelevante Alternativlosigkeiten zu erzeugen und vorrangig dem Machterhalt der aktuellen Eliten zu dienen, dann ist die ökonomische Innovationsfähigkeit auf ein Minimum begrenzt. Konzernpolitik, welche den eigenen Machterhalt vor das „Korrektivum“ offener und freier Märkte stellt, ist bewusst auf dem Weg in eine staatstragende Oligarchie. Was damit einhergeht liegt auf der Hand. Es sind vor allem die steigenden sozialen Ungleichheiten sowie die bekannten ökologischen Degradationsprobleme. Sie sind der Output jener Perspektivenänderung, die strategisch auch als „Ökonomisierung“ der Gesellschaft oder als radikaler Neoliberalismus bezeichnet werden kann. Der Management- und Organisationsforscher Henry Mintzberg hat das neoliberale Strategieverständnis folgendermaßen auf den Punkt gebracht:

„The most effective way of controlling the power of external actors is to control the behavior of those actors…“

“Der effektivste Weg, die Macht externer Marktakteure zu kontrollieren, ist die Kontrolle des Verhaltens jener Akteure…“

An diesem neuen Verständnis von Strategie wird sichtbar: Die Möglichkeit eines Scheiterns, sei es an ökologischen und oder wachstumsbedingten Grenzen, soll mit aller Macht außer Kraft gesetzt werden. Der mündige Bürger und der bewusste Konsument werden aus dem korrektiven Marktprozess zunehmend ausgeschlossen, indem die Vorteile der Größeneffizienz zum alternativlosen Prinzip des Massenkonsums erklärt werden. Der neoliberale Begriff der „Konsumentenwohlfahrt“ bringt dies sehr gut zum Ausdruck. Er erklärt, wie billig ein bestimmtes Gut dem Konsumenten zur Verfügung gestellt werden kann, ohne zu erfassen, wohin die erzielten Profite der Massenproduktion fließen und welche Schäden sie an Ökologie und Gemeinwohl hinterlassen. Hohe Profite werden so zu einer allgemeinen Kennzahl volkswirtschaftlichen Wohlstands. Das BIP zum Fetisch derer, die nahe am großen Kuchen der Profitwirtschaft sitzen und nicht auf die leidliche Krümelsuche gehen müssen. Im Sinne einer Einschränkung der Mitsprache externer Akteure (Konsumenten, Regulierungsbehörden) führt jenes Machtverständnis zu einer rigorosen Zementierung des ökonomischen Satus quo. Natürlicher Nebeneffekt dessen, ist die bewusst hergestellte Undurchlässigkeit etablierter Marktsegmente. Wie das Neue in die Welt kommt, das beantworten neoliberale Ökonomen nur sehr ungern.

Der britische Politologe und Ökonom Colin Crouch hat das neoliberale „Marktversprechen“ in seine Einzelheiten zerlegt und viele seiner Unzulänglichkeiten offengelegt. In „Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus“ aus dem Jahre 2012, beschreibt er die vielschichtigen und gesellschaftlichen Probleme eines verzerrten Wettbewerbs durch marktbeherrschende Konzerne. Diese treten auch Staaten zunehmend auf Augenhöhe gegenüber und stellen partikulare Forderungen. Das alte Kräfteverhältnis aus freiem Markt und regulativem Staat, so wie es in der klassischen Wirtschaftslehre propagiert wurde, sieht er durch einen gravierenden Machtgewinn auf Seiten transnationaler Konzerne gefährdet. Crouch schreibt:

„Aus Sicht des Pluralismus ist jedes Großunternehmen eine eigene ‚Interessengruppe‘; insofern werden Großkonzerne aufgrund ihrer weltwirtschaftlichen Bedeutung zu atemberaubend mächtigen Lobbyisten ihrer selbst, die das Machtgleichgewicht pluralistischer Demokratien bedrohen“.

Die Verstrickung aus Politik und Großkonzernen führt zu einer Entwicklung, die aus der Perspektive der Zivilgesellschaft zu einer „Postdemokratie“ führt und Crouch zufolge, „die Standfestigkeit einer Regierung an den Erfolg ihrer Wirtschaftspolitik bindet“. Dies führt dazu, dass sich „die Rolle der globalen Giganten von heute mit dem Begriff der ‚Lobby‘ nicht mehr fassen lässt. […] Die Vertreter der transnationalen Konzerne der Gegenwart sitzen längst nicht mehr in der ‚Lobby‘, also vor den Kabinettsälen der Regierungen. Sie sind direkt an politischen Entscheidungen beteiligt. Sie setzen Standards, etablieren private Regulierungssysteme, beraten Minister und Regierungschefs und entsenden sogar feste Vertreter in die staatlichen Behörden.“

Ein aktuelles Beispiel jener strategischen Praktiken transnationaler Großkonzerne ist die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko. Die im April 2010 durch die Explosion einer Bohrplattform des BP-Konzerns ausgelöste Umweltverseuchung, kann als ein Paradebeispiel der strategischen Vermeidung von Kosten (Externalisierung) bezeichnet werden. Eine bewusst „verniedlichte“ Risikobewertung der küstennahen Tiefseebohrungen war die Strategie der Experten des BP-Konzerns, die Kosten des Risikos nicht in die Kalkulationen des Unternehmens integrieren zu müssen, das Ziel. Passende Sicherheitsauflagen, Risikovorkehrungen und Redundanzmaßnahmen werden typischerweise in den dafür zuständigen, staatlichen Regulierungsbehörden verhandelt. Die Macht, ihr „Weglassen“ zu befördern, steigert die bilanzielle Wirtschaftlichkeit des Unternehmens erheblich. Um in den Genuss jener „Externalisierung“ zu kommen investierte BP generös in die Entscheidungsfindung der Politik und beschäftigte ganze Stäbe zur Ausarbeitung eigener Sicherheitsstandards innerhalb der Behörden. Spätestens im Ernstfall jedoch, müssen die anfallenden Kosten von der Allgemeinheit getragen werden.

Ölförderfirmen werden temporär ihre Plattformen mit teuren Schutzvorrichtungen gegen Katastrophen ausstatten, die jedoch ökonomisch betrachtet nicht in das Konzept kurzfristiger Effizienz und Wirtschaftlichkeit passen. Die kurzfristige Gewinnstrategie besteht somit nicht darin, möglichst viele Überkapazitäten bereitzuhalten und alle Sicherheitsvorkehrungen zu treffen. Vielmehr besteht sie darin, die eigenen Männer, mit den eigenen Standards in die richtigen Gremien zu bringen. Im Fall BP und seinen US-Subunternehmern, zu denen auch Halliburton gehörte, kam es im Jahr 2012 zu hohen Schadenersatzforderungen der US-Regierung. Der Konzern klagte dagegen. Man traf sich juristisch auf Augenhöhe…

Welche Schlussfolgerungen lassen sich aus diesem Beispiel ziehen? Wozu dient Strategie in einer neoliberalen Wirtschaftswelt, dominiert durch Großkonzerne? Ein erneuter Blick auf die Theorien Henry Mintzberg‘s lohnt sich hierfür allemal.

Mintzberg schrieb in den späten 90’er Jahren des vorigen Jahrhunderts eines seiner Hauptwerke mit dem Titel „Strategy Safari“. Hierin unterteilt er unternehmerisches Strategiedenken in Schulen, denen er jeweils eigene Kapitel widmet. Eine dieser Schulen ist die „Power School“ also die Machtschule. Jenes umfangreiche Kapitel ist hochaktuell und beschreibt die strategischen Wurzeln neoliberalen Denkens vortrefflich. Mintzberg unterscheidet in „Micro Power“ – die Machtkonstruktionen innerhalb der Organisation, sowie „Macro Power“ – jene Macht- und Kontrollpotentiale, die Organisationen in ihrer Umwelt auszuüben vermögen. Letzteres soll im Folgenden näher beleuchtet werden.

Unter der Überschrift „External control by organizations“ umreißt Mintzberg das Denkgebäude der nach aussen gerichteten Machtschule wie folgt:

„Strategy from a macro power perspective consists first of managing the demands of external actors (government regulators, civil pressure groups, competitors and suppliers), and second of selectively making use of these actors for the organization’s benefit“

Will man jenes Zitat frei übersetzen, so wird deutlich, dass es zwei Ansätze gibt, die Strategie aus der externen Machtperspektive (macro-power) heraus definieren:

        I.            „Das bewusste Management der Forderungen und Ansichten der externen Akteure“

     II.            „Die Nutzbarmachung ziviler Akteursgruppen zum Vorteile der eigenen Organisation“

Jene strategische Sicht auf Macht hebt sich fundamental von dem traditionell propagierten Bild des offenen und freien Marktplatzes ab. Der freie Markt wird rigoros ersetzt durch eine Netzwerkansicht der zielorientierten Einflussnahme, der desinformierenden Propagandastrukturen sowie durch einen Lenkungsanspruch zivilgesellschaftlicher Akteure. In Bezug auf Michael Porter vermerkt Mintzberg weiter:

„The traditional picture of the marketplace as an open arena where organizations freely ‚jockey for positions‘, has been largely superseded in advanced economies by organizational, regulatory, and professional systems of considerable interdependence and complexity. Negotiation, political strategies and the management of relationships – these all have become more important.”

„Das traditionelle Bild des Marktes, als eine offene Arena, wo Unternehmen in fairem Spiel um Positionen kämpfen, wurde in entwickelten Ökonomien weitgehend verdrängt durch organisationale, regulatorische und bürokratische Systeme von beachtlicher gegenseitiger Beeinflussung und Komplexität. Regulatorische Aushandlungen, politische Strategien und das Management von Beziehungsnetzwerken – dies alles ist bedeutend wichtiger geworden.“  

Verfolgt man jene organisationalen Denkmuster neuzeitlicher Strategieauslegung weiter, so kann man zu dem Schluss gelangen, dass die aktuell stagnierenden Wachstumsraten jenen wirtschaftlichen Machtbezug enorm anheizen. Die Hochburgen der Machtkonzentration sind ausnahmslos Länder in denen der Lebensstandard hoch, die Wachstumsraten jedoch gering sind. „Saturierte Gesellschaften“ also, deren Wohlstandsmodelle an Ressourcengrenzen stoßen und deren Konsumniveau nur noch durch immensen Aufwand an medialer Präsenz zu expandieren vermag. In einer solchen Gesellschaft, kann es in einer gefestigten Machtallianz aus Staat und Großkonzernen nur schwerlich darum gehen, Menschen bei der (nachhaltigen) Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse zu unterstützen. Nein: „Es wird sich in Zukunft darum handeln, die Mehrheit der Population an konsumverträglichen Denk- und Wahrnehmungskategorien zu orientieren.“ Soweit ein internes Positionspapier eines großen deutschen Chemieunternehmens, welches zu zitieren, die Orwellschen Zukunftsvisionen vergleichsweise harmlos erscheinen lässt.

Ein Blick in die nahe Zukunft soll abschließend aufzeigen, wie Macht und Strategie gerade unter der einer zeitgenössischen, transatlantischen Wachstumsstagnation, in konvergente Bahnen geraten. Freihandelsabkommen sind ein gesellschaftspolitisch sehr zwiespältig aufzufassender Begriff. Aktuell steht das „TTIP“, als Abkürzung für „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ als neues Freihandelsprojekt unter dem Synonym „TAFTA-Abkommen“ hoch im Kurs. Der von der „LE MONDE diplomatique“ als „Wirtschafts-Nato mit grenzenlosen Befugnissen“ bezeichnete Vorstoß kann auch als radikal-neoliberales „Privilegien-Monopoly“ bezeichnet werden. „Die angestrebte ‚Harmonisierung‘ orientiert sich erwartungsgemäß an den Interessen der Konzerne und Investoren. Werden deren Standards nicht erfüllt, drohen zeitlich unbegrenzte Handelssanktionen oder es werden gigantische Entschädigungen (von Seiten der Staaten) für die Unternehmen fällig.“ schreibt die „LE MONDE diplomatique“.

Fatal an diesem strategischen Mächtespiel zwischen regulativem Staat und Großindustrie, ist jedoch vor allem eines: Das Verlangen der Konzerne, Investitionen, Marktanteile und Profite durch quasi-staatliche Garantien allumfassend abzusichern. Der freie Markt, der eben noch innovative Kräfte einer neuen transformativen Wirtschaft ins Boot holen sollte, wird von den etablierten Machtstrukturen vollends negiert und durch langfristige „Investorenrechte“ ersetzt. Was dies bedeutet, wird am Beispiel einer autonomen, nationalen Energie- und Umweltpolitik sichtbar. Ein politisches oder zivilgesellschaftliches Aufbegehren gegen neue Tagebauprojekte, Kohlekraftwerke oder großflächige Landnahmen der Fracking-Industrie, würde somit rechtlich immer zahnloser. Und wie die „LE MONDE diplomatique“ weiter vermerkt:

„Rechtlich abgesichert würde auch der Anspruch auf Entschädigung für ‚indirekte Enteignung‘: Ein Staat müsste demnach zahlen, wenn seine neuen Regelungen den Wert der Investition verringern – selbst dann, wenn diese gleichermaßen für in- und ausländische Firmen gelten. Diese Garantie würde sich auf  Neuregelungen des Erwerbs von Land, Rohstoffvorkommen, Energiequellen, Fabriken und andere Investitionsobjekte erstrecken.“

Es ist durchaus aufschlussreich darüber nachzudenken, warum eine solche Agenda der Deregulierung und der Einschränkung gesellschaftlicher Gemeininteressen gerade jetzt vorangetrieben wird. Zur Debatte steht nichts Geringeres als die langfristige Legitimationsgrundlage neoliberaler Wirtschaftsstrategien:

I.            Wachstum ohne Beachtung der Ressourcengrenzen (erhoffte Entkopplung) sowie

II.            Konsumentenwohlfahrt ohne Verteilungsgerechtigkeit (zinsgetriebene Umverteilung).

Beides ist sozial wie auch ökologisch von höchster Unsicherheit geprägt. Und beide Konzepte lassen sich nur durch eine radikale „Ökonomisierung“ aller Gesellschaftsbereiche weiterhin aufrechterhalten. Die Möglichkeiten einer aufgeklärten Demokratie sind jedoch überall dort bedroht, wo jene wachstumsorientierten Deregulierungsprogramme das Sagen haben. Ihre Auswirkungen, werden in den Kernstaaten der frühen Demokratisierung, so man Colin Crouch folgen will, immer offensichtlicher. Nach Crouch, sind die Probleme in den Kernländern besonders verstörend: „Menschen neigen zur Selbstzufriedenheit und zur Blindheit angesichts der Tatsache, dass die Institutionen, auf die sie so stolz sind, ihre Nützlichkeit zu verlieren beginnen. Sowohl das demokratische Gemeinwesen als auch der Markt weisen gegenwärtig Defizite auf, die an bestimmten Punkten auf besorgniserregende Weise miteinander zusammenhängen.“ Die machtvolle Durchsetzung neoliberaler Strategien ist demnach kein reines Wirtschaftsgebaren mehr, sondern hat zunehmend Auswirkungen auf die Gestalt der Gesellschaft.

Zu hoffen bleibt, dass eine pluralistisch geprägte Gesellschaft die aktuell gepredigten „Impulse für Wirtschaftswachstum“ nicht über die eigene Wahlfreiheit einer wünschenswerten Lebenswelt stellt. Die um sich greifende Verkürzung der Lebenswelten auf deren wirtschaftlichen Wert, muss als eine zeitgenössische Fehlentwicklung wieder in den Diskurs gebracht werden. Auch Machtstrategien bleiben immer Menschenwerk und Ausbeutung ist eine gesellschaftlich akzeptierte Folge dessen.

 

Verwendete Literatur:

 

Crouch, Colin; 2012: „Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus“, Suhrkamp Verlag

Mintzberg, Henry; 1998: „Strategy Safari – Your complete Guide through the wilds of Strategic Management“, Prentice Hall 2’nd edition

Wallach, Lori; 2013: “TAFTA – Die große Unterwerfung”, LE MONDE diplomatique 09/2013

Wertheimer, Jürgen; 2002: “Geklonte Dummheit: Der infantile Menschenpark”, Beck Verlag

3 Kommentare to “Das Unerwartete erwarten? – Strategie in einer Welt der Ungewissheit”

  1. Roderik sagt:

    Guter Beitrag.
    Wir erleben aktuell, wie die deutsche Autoindustrie massiv versucht, das Programm der künftigen Regierung zu beeinflussen:
    http://www.n24.de/n24/Nachrichten/Wirtschaft/d/3850460/die-plaene-sind-hoch-gefaehrlich.html
    Insofern ein gutes Beispiel für die These, dass die grossen Akteure nicht mehr versuchen sich den “Märkten” anzupassen, sondern umgekehrt diese ihren eigenen Interessen zu unterwerfen.
    Die Kernfrage ist: wer ist das Muttersystem – die Ökonomie oder die Zivilisation?
    Die Neoliberalen behaupten, es gäbe so etwas wie “Gesellschaft” gar nicht. Wer so argumentiert begreift die Ökonomische Wissenschaft selbstredend nicht als Gesellschafts- sondern als Naturwissenschaft. Und in der Naturwissenschaft spielt Macht keine Rolle; hier gibt es nur die Naturgesetze. Diese Ökonomie wird offensichtlich keinen Beitrag zur Lösung der Probleme leisten – dazu fehlen ihr die Begriffe.
    Nachdenklich macht mich dass Zitat von Minzberg, in dem von Verhaltenskontrolle der Akteure die Rede ist. Die äussere Verhaltenskontrolle ist eine Machttechnik destruktiver Kulte, mit der sie die innere Gedankenwelt ihrer Anhänger festzulegen suchen. Ich hoffe, wir sind noch nicht so weit.

  2. Florian Hoppe sagt:

    Hier möchte ich nochmal auf das Mansukript von Peter Turchin hinweisen, welches ich im letzten Thema gepostet habe und welches in seiner fertigen Form wohl im Laufe des nächsten Jahres veröffentlicht werden wird.

    Hier nochmal der Link:

    http://cliodynamics.info/PDF/SDAAS_Sep17.pdf

    Daß die Eliten (ich nenne die Konzerne mal so) versuchen mit aller macht ihren Einfluss zu sichern ist historisch gesehen nichts ungewöhnlich.

    Geht es nach Turchin, zerfleischen sich diese allerdings meist selber.

    Des Weiteren sollten wir auch nicht davon ausgehen, daß sich selbst wenn diese Regelungen beschlossen werden, die Bevölkerung diese auch befolgen wird. Es gibt zuviele historische Beispiele, wo Eliten versuchten einen nicht mehr haltbaren Status quo zu bewahren versuchten, letztendlich damit aber kläglich scheiterten.

  3. Siegfried Hille sagt:

    Sehr ausführlich dargelegt. Unrealistisch ist wohl die Annahme, dass es je ein freies Wirtschaften abseits von Machtmonopolen und Beziehungskonglomeraten gab (man denke nur an die politische Einflussnahme vor und nach dem 2. Weltkrieg). Insofern sind diese Strukturen als historisch gewachsen zu betrachten und wohl auch so zu behandeln.

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