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“Hörender Fußmarsch” für mehr Resilienz

Gespräch mit Aktionskünstler Nikolaus Huhn, der einen „Hörenden Fußmarsch“ durch Thüringen plant.

Sie planen einen "Hörenden Fußmarsch" durch Thüringen. Was genau muss ich mir darunter vorstellen?

Ich lade zu einem dreimonatigen Fußmarsch durch alle Kreise und Städte Thüringens ein. Es geht darum, die Stärken der Region zu entdecken und zu fördern. Dabei habe ich und haben wir keine fertigen Rezepte undAntworten im Gepäck sondern eher Fragen. Was kann eine Region aus sich selbst heraus stemmen? Wie kann sie die elementaren Bedürfnisse der Menschen aus der Nähe bedienen? Die Antworten der Menschen, denen wir begegnen, wollen wir weitertragen und weitersagen. Wir unterziehen uns der Mühe des Laufens, um diesem Anliegen Gewicht zu verleihen. Und das Zuhören ist der Kunst der Psychotherapie entlehnt: Der Therapeut belehrt nicht sondern hört zu und stellt vielleicht gelegentlich mal eine Frage. So begleitet er seinen Patienten auf dessen Weg zu seiner eigenen Lösung. Naja, das ist vielleicht ein etwas steiler Vergleich und er hinkt zumindest in sofern als dass ich keine Rechnung für's Zuhören stelle. (lacht)

Ziel ist es, die wirtschaftliche Stabilität der Regionen zu fördern. Der Marsch selbst wird dies wohl kaum bewerkstelligen, aber er lenkt Aufmerksamkeit auf ein wenig beachtetes Anliegen. Das Thema, das Sie transportieren wollen, ist "Resilienz". Was verstehen Sie unter Resilienz?

Resilienz lässt sich am besten mit "Unumstoßbarkeit" übersetzen. Die Fähigkeit, mit Störungen selbsterhaltend umzugehen. Das passende Bild dafür ist das Stehaufmännchen, das seinen Schwerpunkt im unteren Drittel seines Volumens hat und somit nicht wirklich umfallen kann. Resilienz ist dynamische Stabilität, die Fähigkeit trotz widriger Umstände immer wieder ins Lot zu kommen. Nicht umsonst ist das Stehaufmännchen Symbol des Fußmarsches. Der Begriff kommt eigentlich aus der Psychologie. Er bezeichnet aber sehr treffend, was ich mir für unsere Gesellschaft wünsche: Mehr Stabilität aus der eigenen Mitte heraus.

Aber die heutigen politischen und wirtschaftspolitischen Ziele sind meist ganz andere: Wirtschaftswachstum und Exportrekorde sind das Gebot der Stunde. Warum sollten sich Ihre Mitmenschen mit "Resilienz" befassen?

Ich sehe mehrere Faktoren, die zur Zeit unseren sehr hohen Lebensstandard stützen: Erstens: Die immer noch billige Energie. Was schätzen Sie, wie viele Stunden Sie körperlich arbeiten müssen, um die Arbeit zu verrichten, die Sie mit einem Liter Benzin leisten können?

Keine Ahnung. Viele.

Fünfzig Stunden! Und das bekommen wir für knapp zwei Euro. Das entspricht einem Stundenlohn von 4 ct. Zweitens wird unser Lebensstandard von der Finanzwirtschaft und die Staatsverschuldung hoch gehalten, die beide auf ziemlich hohem Niveau taumeln. Und drittens sehe ich in unserem allgemeinen Profitieren vom internationalen Lohngefälle eine Stütze unseres Wohlstandes. Ich bitte Sie: Ein Herrenhemd für 6,90. das ist doch Metaphysik!

Von diesen und anderen langen aber sehr dünnen Stelzen wird unser Lebensstandard hoch gehalten. 

Aber was machen wir eigentlich, wenn die eine oder andere dieser Stützen mal schwächelt oder einknickt? Wenn das Benzin 10,- Euro kostet und das Heizöl 5,- Euro pro Liter? Wenn Staaten oder Geldmärkte abschmieren? Wenn Supermärkte schließen und Rentenversicherungen Insolvenz anmelden?

Können wir unsere Grundbedürfnisse in der Region selbst decken? Können wir unsere Infrastruktur aufrecht halten ohne monetären oder materiellen Zufluss von außen? Verwöhnt durch ein irreal aufgepopptes Warenangebot haben wir leichtfertig die Kulturtechniken der regionalen Selbstversorgung und regionalen Wirtschaftens aufgegeben. Wir haben Stabilität auf niedrigem Niveau gegen einen hohen aber sehr störungsanfälligen Lebensstandard eingetauscht. Da spricht vieles für einen Plan B. Für Strukturen, die einfacher aber robuster sind, eben resilienter.

Der Begriff der "Resilienz" tauchte in den vergangenen Jahre insbesondere zusammen mit den "Transition Towns" auf. Sehen Sie da Anknüpfungspunkte?

Selbstverständlich. Im Beibehalten des englischen Begriffs sehe ich jedoch - zumindest hier im Osten - ein unnötiges Hindernis für die Ausbreitung dieser Initiative über die klassische Alternativszene und das grüne Bildungsbürgertum hinaus. Ansonsten finde ich diesen Ansatz, der sich weder einem hemmungslosen Wachstumsoptimismus hingibt noch der Schwarzmalerei frönt absolut erfrischend. Es sind diese konstruktiven Ansätze, die uns durch die Krise führen können. Eine Krise, deren kommen niemand garantieren kann, die aber viele intuitiv ahnen. Nun ist Krise und Katastrophe nicht dasselbe und es liegt an uns, dass sie es nicht werden.

Sie waren im Sommer 2009 schon einmal zu Fuß durch Thüringen unterwegs. Damals in Uniform mit Zapfpistole und einer hölzernen Ölpumpe. Der "Thüringer Energiemarsch" thematisierte insbesondere das globale Ölfördermaximum (Peak Oil). Wie waren die Reaktionen der Thüringer?

Wir hatten viele freundliche und ermutigende Reaktionen allerdings auch die Rückmeldung, dass das Bild mit großer schwarzer Ölpumpe und dem gefälschten Soldaten vielen wohl eher unverständlich ist oder auch Angst macht. Das habe ich nach längerem Zögern eingesehen und mich dann für das Hören und für das Stehaufmännchen als positives Bild entschieden.

Wenn ich "Hörender Fußmarsch" höre und mir vorstelle, wie Sie einen Wagen mit mannshohen Ohren über die Thüringer Landstraßen schieben, fühle ich mich ein bisschen an Joseph Beuys erinnert, der mit seltsamen Kunstaktionen so manches Hirn erschütterte. Was ist Ihre Inspirationsquelle für diese Aktion?

Danke für die Referenz. Beuys und sein erweiterter Kunstbegriff und die Idee der Sozialen Plastik beschäftigt mich immer wieder. So gesehen darf man den Fußmarsch ruhig als Aktionskunst ansehen. Damit das ganze nicht zu sehr in's karnevalistische abrutscht, sollte ich vielleicht hinzufügen, dass ich selbständiger Unternehmer, Energieberater und Beiratsmitglied des Thüringer Wirtschaftsministeriums bin (es ist allerdings keine Aktion des Wirtschaftsministeriums und wird von diesem auch nicht unterstützt.). Es ist also kein Happening, dem es nur um Gaudi und Aufmerksamkeit geht. Ich habe jedoch die Erfahrung gemacht, dass man sich lernphysiologisch Dinge besser merkt, wenn nicht nur der Verstand sondern auch die Sinne angesprochen werden. Daher die großen Ohren. Das Zuhören steht im Vordergrund. Nicht das Aushorchen... Ich suche noch nach einem passenden Geräusch und eventuell auch einem Geruch, der die Wiedererkennbarkeit verbessert. Eine Art Jingle – der Eismann und der mobile Bäcker wissen, wovon ich rede. Also auf Gehirnerschütterung soll das ganze nicht hinauslaufen. Eher erschüttern möchte ich den naiven Glauben an ewiges Wachstum.

Wo gehts los, wo gehts lang, wie kann man mitmachen?

Es geht am 1. April in Bad Langensalza los und dann in einer großen Runde im Uhrzeigersinn durch Thüringen. Vom 28. bis 30. Juni sind wir in Erfurt zu Gesprächen mit den Ministerien und anderen Institutionen und zur Abschlussveranstaltung. Dass die Route des Marsches auf der Karte – mit etwas gutem Willen – ein Ohr darstellt ist wohl eher ein Zufall. Wer will, kann ein Stück oder den ganzen Marsch mitlaufen. Oder man lädt den Marsch zu einem Gesprächsabend ein. Wer nicht mitkommen kann, darf sich natürlich auch schriftlich zum Thema äußern.

Vielen Dank und guten Marsch.

Danke ebenso. Laufen Sie doch einfach mal eine Etappe mit!

 

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Mehr Infos:

Video:

[youtube IHJonuv-dDc]

Videos, die ohne Zutun von Nikolaus Huhn entstanden:

3 Kommentare to ““Hörender Fußmarsch” für mehr Resilienz”

  1. […] Siehe auch: Interview mit dem Initiator Nikolaus Huhn von Februar letzten Jahres […]

  2. […] hörende Fußmarsch nun Resilienz-Elemente in den Regionen aufdecken. (Siehe dazu auch das Interview mit ihm.) Von Meiningen aus erstellte er nun folgende […]

  3. […] in kleinen Schritten" ist der aufgeschriebene "Hörende Fußmarsch", zu dem er mir vor 2 Jahren ein kleines Interview für peak-oil.com gab. Auch wer nicht in Thüringen lebt, könnte an dieser Erforschung Freude finden, zieht […]

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