Zum Textbeginn springen . Zur Navigation springen .

Nachschlag: IEA WEO 2012 im Detail

690 Seiten umfasst das Papier der IEA, von dem die ASPO-Webseite als neues "Standardwerk" spricht. Um die Vorgehensweise der IEA zu verstehen, muss man sich klarmachen, dass die Agentur mit vier verschiedenen Szenarien spielt. Szenario 1 ist das Current Policies Scenario (CPS), bei dem die bisher installierten Energie-Politiken umgesetzt werden. Wenn also ein Land wie Deutschland ein EEG implementiert hat, dann fließen die Auswirkungen dieses Beschlusses in dieses Szenario mit ein. Alle bestehenden und installierten Beschlüsse finden sich in diesem Szenario ein und das Szenario schreibt also die heutige Entwicklung fort. Wenn die Europäische Union das Ziel ankündigt, bis 2020 20% weniger Kohlendioxid zu emittieren, 20% aus Erneuerbaren Energien zu nutzen und 20% höhere Energieeffizienz zu erreichen (20-20-20-Strategie), dann fällt diese Zielstellung in das "New Policies Scenario" (NPS), denn die Maßnahmen wurden noch nicht umgesetzt. Darin werden also alle Ankündigungen aufgenommen, die weltweit als zukünftige Schritte zu erwarten sind. Ob zu den Ankündigungen Beschlüsse und Umsetzungen erfolgen, wissen wir nicht, aber das New Policies Scenario geht davon aus, dass es passiert. Das 450er Szenario knüpft an dem global kommunizierten Ziel an, die Kohlendioxid-Konzentration in der Erdamosphäre nicht über 450 CO2-Teilchen pro Million Luftteilchen steigen zu lassen. Das 450er Szenario entwirft einen (aus IEA-Sicht) realistischen Entwicklungspfad unserer Energieversorgung, mit der dieses Ziel mit einer 50%igen Wahrscheinlichkeit (!) erreichbar wäre. Das "Efficient World Scenario" (EWS) untersucht die Frage, was passiert, wenn alle bekannten Effizienz-Werkzeuge, die ökonomisch machbar sind, umgesetzt werden und Politiken umgesetzt werden, die Marktbarrieren senken, die die Installation dieser Effizienzmaßnahmen verhindern. (Das könnten beispielsweise die Streichung von Subventionen sein.)

Man kann den 690-Seiten-Wälzer unter verschiedenen Blickwinkeln lesen, um sie alle abzubilden, müßte man ein 690-Seiten-Buch schreiben. Daher soll sich dieser Text auf die Frage konzentrieren: Was passiert, wenn wir mit der bisher installierten Politik einfach weitermachen? Wem die IEA-Aussagen dazu nicht passen, muss demnach für Änderung der bisher installierten Politik eintreten. Was passiert, wenn man Änderungen umsetzt, kann man dann an den weitergehenden Szenarien der IEA ablesen. Da die Diskussion um Peak Oil jedoch immer noch um die Frage geht, ob man sich überhaupt um dieses Thema kümmern muss, macht die Konzentration auf das Weiter-So-Szenario (Current Policies Scenario) Sinn. Denn sollte sich herausstellen, dass "Weiter So" nicht funktioniert, muss über Anpassungsmechanismen nachgedacht werden.

Dummerweise betont die IEA im gesamten Dokument das New Policies Scenario. Auch die anderen Veröffentlichungen konzentrieren sich auf dieses Szenario und somit fast alle Presseartikel. Dadurch hat das Papier der IEA den Anschein, es beschreibe grundsätzlich nur ein Szenario; und oft genug macht die Presse und wir Leser daraus die Annahme, dass es sich bei diesem Szenario um den Weg handelt, auf dem die Welt in die Zukunft schreitet. Dabei muss betont werden: Dieses New Policies Scenario tritt nur ein, wenn alle politischen Ankündigungen Realität werden! Dieses Szenario tritt nicht ein, wenn wir einfach "Weiter so" machen. Dieses Szenario arbeitet also bereits mit dem, was heute als "politischer Stand der Technik" gilt - und was vielen Leuten bereits als "viel zu viel" erscheint, selbst wenn es noch gar nicht beschlossen, in Gesetze gegossen und wirksam ist. Daher suggerieren die Medienreflektion über den World Energy Outlook, dass ja alles auf dem richtigen Weg sei, dabei kennen wir die Unsicherheiten politischer Diskussionen zur Genüge. Was vorgestern noch ein Atomausstieg war, kann gestern der Wiedereinstieg und heute der Wiederausstieg sein. Was betont werden muss ist: Das eher optimistische Szenario der IEA wird nur dann Realität, wenn wir all unsere (politischen) Versprechungen von heute auch umsetzen. Tun wir das nicht, wirds noch schlimmer.

Und trotzdem dieses "New Policies Scenario" eher optimistisch ist, schreibt die IEA in der deutschsprachigen Zusammenfassung des WEO:

Bei Berücksichtigung aller neuen Entwicklungen und Politikmaßnahmen sieht es noch immer nicht so aus, als gelänge es, das globale Energiesystem auf einen nachhaltigeren Pfad zu lenken.

Verständlich wird dieser Satz erst, wenn man ihn im Licht der oben dargestellten Szenarien liest. Übersetzt heißt das: Selbst wenn alle neuen Politik-Ankündigungen verbindlich beschlossen und umgesetzt werden, verläuft die Entwicklung trotzdem nicht so, dass wir es "nachhaltig" nennen können. "Nachhaltig" muss im Sinne der IEA nichts mit Umweltfragen zu tun haben - wo das Wort ja oft verortet wird. Trotzdem verweist die IEA auf Berechnungen, nach denen das 2-Grad-Ziel der Klimapolitik nicht erreicht wird. "Nachhaltig" kann sich auch auf die Versorgung mit Energie beziehen und in diesem Sinne wäre also selbst bei den neuesten Politik-Entwicklungen nicht sichergestellt, dass wir uns in den nächsten Jahrzehnten ausreichend mit Energie versorgen können.

Folgt man dem Current Policies-Szenario, so wird der Ölpreis 2015 bei 130 US$ liegen und in 2020 bei fast 160 US$. Selbst bei Umsetzung aller angekündigten Energie-Politiken (New Policy-Scenario) ist mit 150 US$ Ölpreis in 2020 zu rechnen. Dabei berücksichtigt die IEA aber natürlich keinerlei unerwarteten Ereignisse, keinen Krieg, keinen politischen Umsturz, keine Unfälle, Naturkatastrophen oder terroristischen Anschläge, die die Ölinfrastrukturen betreffen und sie geht auch von ausreichend bereitstehenden Investitionen für den Ausbau der Strukturen aus. Sie geht außerdem davon aus, dass alle geplanten Ausbaustufen von Energieinfrastrukturen planmäßig umgesetzt werden. (Die in dieser Annahme enthaltenen Risiken beleuchtet Steffen Bukold regelmäßig in unserem Peak-Oil-Barometer, indem er den Szenarien der IEA Risiken im Ausbau der Ölförderanlagen entgegenstellt und somit zu einer Risikoanalyse kommt.) 130 US$ in 2015 bringen uns zu Spritpreisen von 1,70 Euro zurück, wie wir es bis kürzlich erlebten. Da dies jedoch eher der erwartete Durchschnittspreis ist, können Schwankungen zwischenzeitlich zu weitaus höheren Preisen führen. Wie stark solche Schwankungen ausfallen können, sah man zuletzt im Verlauf der Libyen-Krise, als der Ölpreis im Laufe eines halben Jahres von 70 auf 120 US$ stieg oder im Frühsommer diesen Jahres, als er binnen 3 Monaten von 130 auf 90 US$ sank. Überträgt man eine Schwankungsbreite von 40 US$ auf den IEA-Durchschnittspreis von 130 US$ ergibt sich ein Ölpreisbereich zwischen 90 und 170 US$ in 2015 - also in 2 bis 3 Jahren. An den Tankstellen kann das - je nach Euro-Dollar-Wechselkurs - bereits weit mehr 2 Euro pro Liter Sprit bedeuten.

This rising trend reflects the mounting cost of producing oil from new sources, as existing fields are depleted, in order to satisfy increasing demand.

Dieser ansteigende Trend berücksichtigt die Installationskosten für die Förderung von neuen Feldern, während die existierenden Felder nicht mehr genug hergeben, um die steigende Nachfrage zu befriedigen.

Higher prices are needed for supply to keep pace with higher demand, as existing reserves are depleted faster and oil companies are forced to turn to more costly new sources of oil sooner.

Die höheren Preise werden nötig, damit das Angebot mit dem höheren Bedarf Schritt halten kann, während die existierenden Reserven schneller ausgebeutet werden und die Ölkonzerne gezwungen sind, sich den teureren neuen Ölquellen früher zuzuwenden. (S. 84)

Investors in energy projects are exposed to a wide array of risks, including geological, technical, regulatory, fiscal, market and geopolitical risks. As a result, harnessing the necessary investment, technology and skilled workforce is expected to be an ongoing challenge. At certain times, sectors and places, investment will undoubtedly fall short of what is needed (though there will also be occasions when the reverse occurs).

Investoren in Energieprojekte sind einer großen Vielfalt an Risiken ausgesetzt, inklusive geologischen, technischen, regulatorischen, steuerlichen, Markt- und geopolitischen Risiken. Im Ergebnis wird es eine fortlaufende Herausforderung bleiben, das benötigte Investment, Technologie und Spezialisten zusammenzukriegen. Zu speziellen Zeiten, in speziellen Bereichen bzw. an speziellen Orten werden die getätigten Investments unter den benötigten Umfang fallen (und ebenso wird es Gelegenheiten geben, wo das Umgekehrte passiert).

Aus dieser Investitionsunsicherheit läßt sich obige Schwankungsbreite des Preises begründen. Kommt es irgendwo zu politischer oder ökonomischer Unsicherheit, werden Investitionen auf Eis gelegt. Sinkt dann die Ölförderung kurzzeitig, löst dies Stress-Peaks beim Ölpreis aus. Politische oder ökonomische Unsicherheit berücksichtigt die IEA aber nicht besonders intensiv. Sie ist eine Energieagentur, kein Politik- oder Wirtschaftsforschungsinstitut. Es wäre Aufgabe solcher Institute, die von der IEA benannten Risiken hinsichtlich ihrer Wahrscheinlichkeiten zu bewerten und in die Szenarien der IEA zurückzuspiegeln.

Schreibt man die bereits bestehenden Energiepolitiken fort, wird der Weltölbedarf bereits 2025 bei 100 Millionen Fass am Tag liegen und 2035 bei 112,2 Millionen Fass angekommen sein. Die neuen Politiken sollen dazu führen, dass der Ölbedarf bis 2035 nicht über 100 Millionen Fass steigt. Die Ölförderung für dieses Szenario erreicht in 2035 97 Millionen Barrel am Tag, die Differenz von 3 mb/d füllen Biotreibstoffe. (Die IEA berücksichtigt nicht die Aussage der Leopoldina, nach der der Mensch bereits 75% der oberirdischen Biomasse beansprucht und sie macht auch keine Aussagen über Wirkungsgrad oder EROEI der Biotreibstoffproduktion.) Der Anstieg von heute 84 mb/d auf diese 97 mb/d sollen sämtlichst aus Flüssiggasen (natural gas liquids, NGL) und unkonventionellen Quellen kommen. Die konventionelle Förderung schwankt zwischen 2011 und 2035 zwischen 65 und 69 mb/d, "niemals wieder den historischen Peak von 70 Millionen Barrel pro Tag von 2008 erreichend" (Zitat IEA!) und während dieser Zeit um 3 mb/d fallend. Der Peak der konventionellen Ölförderung war demnach 2008 und wir befinden uns derzeit leicht unter diesem Peak auf einem Förderplateau.

Außerhalb der OPEC erwartet die IEA den Beginn des Gesamt-Peaks in 2015. Über 10 Jahre bis 2025 soll sich die Förderung dann auf einem Plateau von 53 Millionen Barrel pro Tag bewegen, um bis 2035 auf 50 Millionen Fass zu sinken. Zur Erinnerung: Europas Ölförder-Plateau dauerte 6 Jahre und nach dem "Absprung" vom Plateau fiel die Förderung pro Jahr um 5,5%. Das Szenario, welches die IEA hier für die Nicht-OPEC-Länder anführt entspricht einer Decline-Rate von 0,57%, also einem Zehntel dessen, was in Europa "am lebenden Ölfeld" zu beobachten ist. Im Grunde entspräche solch eine Decline-Rate einer Fortsetzung des Förderplateaus bis 2035, wir würden also von einem zwanzigjährigen Förderplateau außerhalb der OPEC-Staaten sprechen. Das Schrumpfen der alten Felder soll dabei fast durch die unkonventionellen Fördertechniken ausgeglichen werden. Im Gegenzug weitet die OPEC ihre Fördermengen von heute 36 mb/d auf 46 mb/d in 2035 aus. Jegliche Steigerung der Weltförderung läge demnach in Händen des Ölförderkartells ( - ein Zusammenschluss, der nach deutschem Recht wohl das Kartellamt auf den Plan rufen würde). Dann wird die OPEC einen Marktanteil von 48% haben, was - so schreibt es die IEA - nur knapp unter dem historischen Hoch von 53% kurz vor dem ersten Ölschock 1973 liegt. Die Macht der OPEC steigt also und damit die Verwundbarkeit der ölabhängigen Länder, die keine nennenswerte Eigenförderung verzeichnen können.

WEO 2012: steigende Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten in Europa, Indien, China

Die zusätzliche Förderung muss jedoch weit größer ausfallen als der Zuwachs auf den ersten Blick aussieht. Denn: Die heute produzierenden Ölfelder werden bis 2035 nur ein Drittel dessen hergeben, was sie heute hergeben. Die Lücke sollen Ölfelder füllen, die noch entwickelt oder gefunden werden müssen. 40 Millionen Fass Öl pro Tag müssen also von heute bis 2035 neu erschlossen werden - und da sind die unkonventionellen Öle eben noch nicht dabei, denn ihre Aufgabe ist es ja, den Bedarfszuwachs zu decken - also das, was wir auf das heutige Verbrauchsniveau dank aufstrebender Schwellenländer noch draufsatteln. Bis 2020 werden 10 dieser 40 Millionen Fass Tagesförderung benötigt, was einem zusätzlichen Saudi Arabien oder einem zusätzlichen Russland entspricht. Bis 2035 sind es dann also 4 Saudi Arabiens bzw. 4 Russlands - nur um die Förderung nicht sinken zu lassen.

Verläuft dieses Szenario so, wie die IEA sagt, würden 2035 28% der Weltölreserven ausgebeutet sein. Genug Öl im Boden, um nochmal ein Industriezeitalter dranzuhängen, allerdings schränken die physikalisch-geologischen Gesetzmäßigkeiten eine vollständige Förderung genauso aus, wie der zunehmende Aufwand für die immer schwieriger zu fördernden Ressourcen. Dieser Aufwand schlägt sich in Form von benötigter Energie und in Form von finanziellen Kosten sowie Ressourcenbindung nieder. Der leicht steigende Output an Öl geht mit überproportionalem Energieaufwand und Manpower einher.

Da auch diese Entwicklung nur unter dem Blickwinkel der neuen Policies stattfindet, bedeutet ein Weitermachen mit den derzeit installierten Politiken, dass die Zahlen noch weitaus größer ausfallen müßten.

Die Steigerung der kanadischen Ölsandförderung von 1,6 mb/d in 2011 auf 4,3 mb/d in 2035 ist nur möglich, wenn die öffentlichen Sorgen um die Umweltaspekte dieser Fördermethode berücksichtigt werden. So sagt es die IEA. Und sie stellt auch selbst die Frage: Finden wir genug Felder mit konventionellem Öl, um die konventionelle Ölförderung mengenmäßig aufrecht zu erhalten? Ihre Antwort: Die Zahl und Größe der neu entdeckten Ölfelder sinkt seit Jahrzehnten (mit einer leichten "Verbesserung" in den letzten Jahren) und die Super-Gigant-Fields mit mehr als 5 Milliarden Barrel Reserven wurden alle vor den 1970ern entdeckt. Nur das Lula-Feld in Brazilien wurde in den letzten 10 Jahren gefunden (und die - allgemein erwartete - Bestätigung für die dortigen Zahlen steht noch aus). Die Fördermengen übersteigen die Neufunde seit langem. Dennoch sind die Neufunde immer noch größer, als die in den aufgestellten Szenarien benötigten Zuwächse - selbst im Current Policies Scenario. Zwischen 2000 und 2011 wurden durchschnittlich 14 Milliarden Barrel Neufunde vermeldet, während die Projektionen für die Jahre 2011 bis 2035 im Current Policies Scenario einen durchschnittlichen Fund von 7 Milliarden Barrel pro Jahr benötigen und in den anderen Szenarien entsprechend weniger.

Ganz praktisch - so die IEA - haben sich die entdeckten Ölmengen mit den steigenden Ölpreisen seit den 1990ern nicht verringert, so dass weiter steigende Preise zu entsprechenden Such-Aktivitäten führen sollten. Aus Sicht der IEA ist es nicht so sehr die Menge im Boden, die für die weitere Enwicklung relevant ist, sondern wie stark der Ölverbrauch von den versprochenen neuen Energie-Politiken beeinflusst wird, wie viel es kosten wird, die gefundenen Mengen auch zu fördern und ob die Investitionsbedingungen (zu denen auch der Ölpreis gehört) stimmen. Die IEA sagt damit, dass genug Öl im Boden ist und es vor allem vom Preis und Investitionssicherheiten abhängt, ob die zu findenden Felder erschlossen werden. Peak Oil entwickelt sich zunehmend von einem Problem unter der Erde zu einem Problem über der Erde: Der Ölpreis wird der entscheidende Faktor.

Für Russland erwartet die IEA das Erreichen des Plateaus in den kommenden Jahren bei etwa 11 Millionen Barrel pro Tag. Bis 2035 sollen die russischen Fördermengen auf 9,2 mb/d sinken. Peak Oil in Russland ist also absehbar, was vielleicht erklärt, warum Russland Pläne für einen "Entzug von der Erdölsucht" schmiedet. Entsprechend rechnet die IEA auch mit einem Rückgang der Exporte aus Russland (und dem kaspischen Raum). Für Europa ist diese Meldung extrem bedeutsam, erst Recht, da die IEA auch für Großbritannien und Norwegen kein Ende des Förderrückgangs erwartet. Russlands Staatshaushalt ist hochgradig auf Einnahmen aus dem Ölexport angewiesen. Ein Rückgang der Förderung bedeutet einen Rückgang der Einnahmen, wenn nicht die erzielten Preise den mengenmäßigen Rückgang ausgleichen können. Hohe Ölpreise sind künftig also noch stärker in Russlands Interesse. Ein hochgradig abhängiges Europa könnte sich als idealer Geschäftspartner darstellen, erst Recht, wenn Russland sein Öl künftig auch in Asien verkaufen könnte. Wer sitzt dann wohl am längeren Hebel? Fraglich am russischen IEA-Szenario ist die angesetzte Decline-Rate: von 11 Millionen in 2015 auf 9,2 Millionen in 2035 bedeutet eine Decline-Rate von 0,82%, auch dieser Wert ist sehr optimistisch, wenn man ihn mit den bekannten Decline-Raten anderer Länder nach dem Peak vergleicht.

Geht es nach dem New Policies Scenario, sinkt der Ölverbrauch in Europa von 12,6 Millionen Barrel pro Tag in 2011 auf 10 Millionen Barrel in 2035. Das entspricht einem Rückgang von 1% pro Jahr, was fast doppelt so große Sparanstrengungen bedeutet, wie zwischen 2002 und 2011, als Europas Ölverbrauch vor allem auch aufgrund der Wirtschaftskrise sank. Doppelt so schnelle Einsparungen beim Öl erwartet die IEA also dann, wenn alle europäischen politischen Versprechungen umgesetzt werden. Machen wir weiter wie bisher (Current Policies Scenario) sinkt der Ölverbrauch nur um 0,6% pro Jahr und entsprechend größer ist die Abhängigkeit, die Importmengen und die für den Import eingesetzten Kosten. Um im Sinne des 450er-Szenarios zu handeln, müßte der Ölverbrauch in Europa um 2,1% pro Jahr sinken, was etwa das Vierfache der bisherigen Anstrengungen bedeutet. Nimmt man dieses Szenario, welches mit den Klimaschutz-Aktivitäten vieler deutscher Städte kompatibel ist, bedeutet dies, dass im Schnitt jede Kommune, jedes Unternehmen und jeder Haushalt seinen Verbrauch um 2,1% pro Jahr senken muss. Nicht einmalig, sondern Jahr für Jahr! Ein bescheideneres als dieses Ziel wäre aus klimapolitischer Sicht nicht ausreichend. Aber aus ökonomisch/politischer Sicht müßte Europa seinen Ölverbrauch eigentlich mit mindestens derselben Rate senken, wie die Ölförderung auf dem Kontinent (5,5%!) - das sagt allerdings nicht die IEA.

In die weltweite Förderinfrastruktur für Öl und Gas flossen 2011 571,9 Milliarden US$ und in 2012 bereits 619 Milliarden US$ - eine Steigerung um 8%. Die 2012er Investitionen sind fünfmal so hoch wie im Jahr 2000. 430 Milliarden US$ müssen bis 2035 jährlich in die Ölinfrastrukturen fließen bzw. 614 Milliarden US$ in Öl- und Gasförderstrukturen - also dieselben Investitionen wie die Industrie für 2012 plant. Bis ins Jahr 2035 werden dann (inflationsbereinigt) 10,2 Billionen US$ in die Ölförderstrukturen geflossen sein. Diese riesigen Beträge können wohl nur zusammenkommen, wenn die Preise entsprechend hoch sind, wenn Investitionssicherheiten vorhanden sind und wenn die Wirtschaft sich nicht frühzeitig auf Schrumpfkurs begibt. Denn in wirtschaftskriseligen Zeiten könnten Investitionsbeträge schwerer aufbringbar sein. In der Wechselwirkung zwischen dem Ölfördersystem und dem Weltwirtschaftssystem zeigt sich auch die Bedrohlichkeit von Peak Oil: (Bezahlbares) Öl ist absolut notwendig zum Betrieb des Wirtschaftssystems, doch das Wirtschaftssystem muss immer größere Aufwendungen zur Bereitstellung dieses Grundlagenstoffs machen. Zu hohe Aufwendungen könnten die Wirtschaftskräfte überfordern und zu Krisensituationen führen, zu geringe Aufwände könnten den Ölfluss verlangsamen. Beide Entwicklungen sind wirtschaftspolitisch gefährlich, ein Ausweg innerhalb dieses Entwicklungspfades ist eigentlich nicht zu finden.

Dass die USA zum Ölexporteur werden, wie es beispielsweise Spiegel Online schrieb, gibt im Übrigen nicht mal das New Policies Scenario her. Auf 3,5 Millionen Barrel pro Tag würde die Importmenge der USA in diesem Szenario zwar sinken, aber zum Ende des Betrachtungszeitraumes (2035) stagniert diese Zahl und man fragt sich, ob der Ölimport der USA nach 2035 wieder zunehmen soll. Spätestens dann würde die USA also wieder mit wachsender Nachfrage auf dem Weltmarkt auftreten, wobei diese Nachfrage rasanter steigt, weil die Fracking-Technologie zu extremen Decline-Raten führt. Der dann zu erwartende viel schnellere Absturz der us-eigenen Ölförderung muss sich zwangsläufig in einem rasant steigenden Importbedarf ausdrücken, weshalb ab 2035 die lineare Fortschreibung der bisherigen Trends völlig unrealistisch erscheint. Spätestens ab 2035 ist selbst bei positiver Entwicklung der Ölförderung mit einer nichtlinearen Entwicklung zu rechnen, sofern die Welt weiterhin am Öltropf hängt. Nichtlineare Entwicklungen werden allgemein mit "Chaos" verbunden, eine Situation, die nur etwas mehr als 20 Jahre vor uns liegt und umso wahrscheinlicher wird, je intensiver wir bis dahin an der Nadel hängen.

Der IEA-Jahresbericht läßt konsequent den Eindruck aufkommen, die Ölfördermengen sind bis 2035 steigerbar. Nach Ansicht der IEA reichen jedoch weder die bestehenden energiepolitischen Beschlüsse noch die angekündigten Energiepolitiken aus, um auf einen nachhaltigen Pfad mit unserer Energieversorgung zu kommen. Zwar scheint die Ölförderung aus den IEA-Blickwinkeln steigerbar, aber die IEA macht beispielsweise keine Aussagen über das Verhältnis zwischen Energieinvestitionen und Energieernte, aber sie macht mehrfach deutlich, dass der Aufwand zur Förderung steigt: Mehr Offshore-Förderung, kleinere Reservoirs, steigende Kosten. Die Ölmacht verschiebt sich - mal wieder - in Richtung OPEC und für Europäer ist die Aussicht auf eine größere Ölunabhängigkeit der USA nur bedingt tröstend. Unser Kontinent trocknet aus, was seine Ölförderung betrifft. Die Abhängigkeit zu Russland ist bereits heute sehr groß und wird noch zunehmen, während dieser größte europäische Lieferant sein Ölfördermaximum vor sich hat.

Auch die Ölpreisszenarien, die die IEA skizziert bieten wenig Beruhigung. In der Tendenz steigend, aber auf wesentlich höherem Niveau, als dieselbe Agentur noch vor 10 Jahren prognostizierte. Was damals noch 20 US$ waren, sind heute bereits 130 US$. Und die Realität hat da noch gar nicht mitgemischt - schließlich geht es um Aussagen die Zukunft betreffend.

Oder um es mit Worten der Autoren selbst zu sagen:

There are many uncertainties; but many decisions cannot wait.

Es gibt viele Unsicherheiten; aber viele Entscheidungen können nicht warten.

 


 

Dieser Text ist als Ergänzung zum gestrigen Text "IEA-World Energy Outlook 2012 – Peak Oil abgesagt?" (mit Grafiken) zu verstehen. Während der gestrige Text sich auf die öffentlich verfügbaren Dokumente bezog, die offenbar als Grundlage für die meisten Presseartikel dienten, beruht der vorliegende Text auf dem Original-World-Energy-Outlook 2012. Fehlinterpretationen meinerseits sind natürlich nicht auszuschließen.

Glossar:

  • Decline-Rate: Rate, mit der die Förderung in einem Ölfeld oder in einer Gruppe von Ölfördern abfällt. Beispielsweise sinkt die europäische Ölförderung seit 2002 im Schnitt mit 5,5% pro Jahr, das heißt die Decline-Rate Europas beträgt 5,5%
  • mb/d: Millionen Barrel pro Tag. Fördergeschwindigkeit.
  • IEA: Internationale Energieagentur. Gegründet 1974. Hauptsächliche Mitglieder: Die OECD-Staaten, also Industrieländer. Nicht zu verwechseln mit der OPEC.
  • OPEC: Kartell der erdölexportierenden Staaten, gegründet 1960. Die Mitglieder stimmen sich über ihre Fördermengen ab, um den Ölpreis auf angemessenen Höhen zu halten. Russland ist nicht Mitglied.

Links:

21 Kommentare to “Nachschlag: IEA WEO 2012 im Detail”

  1. […] Nachtrag, 14.11.2012: Obiger Text beruhte auf den allgemein öffentlich zugänglichen Quellen der IEA. Eine vertiefende Analyse des World Energy Outlook 2012 hinsichtlich Öl-Gesichtspunkten findet sich nun unter dem Titel: Nachschlag: IEA WEO 2012 im Detail […]

  2. smiths74 sagt:

    Wow, das nenn ich mal Zusammenfassung! Respekt! Das wichtigste aus 660 Seiten zusammenfassen ist nicht leicht. Solche Informationen vermisse ich auf SPON und Co!!

    Viele Grüße

    smiths74

  3. ... sagt:

    Vergessen Sie bei der Einhaltung des 2-Grad Ziel meine “Geheimfavoriten” N2O und CH4 nicht. Da geht sicher noch einiges mehr, vorallem in China, Indien, Afrika. Und vorallem ist bei N2O überhaupt nichtmal ansatzweise eine Trendwende in Sicht, wenn sich da die Emissionen nochmal 2mal verdoppeln, dann hätten wir da auch ein Riesenproblem. Da in China ja letzte Woche mal wieder “Fleisch für alle” angekündigt wurde, ist zumindest die einmalige Verdopplung nicht wirklich unwahrscheinlich.

  4. steffomio sagt:

    Das mit der Erdöl Preisentwicklung glaubt die IEA doch wohl selber nicht:
    http://www.tecson.de/historische-oelpreise.html

    Angesichts der Historie halt ich mir den Bauch vor lachen wenn ich dagegen den “Ausblick” der IEA hier sehe:
    http://www.peak-oil.com/wp-content/uploads/2012/11/preisszenarien_iea_weo2012.jpg

    Allein für diesen totalen (und im Grunde überaus dreist-frechen) Schwachsinn würde ich vom gesamten Bericht nicht ein einziges Wort mehr glauben.

    • Norbert Rost sagt:

      Wir haben es dann aber leider mit sowas wie gesellschaftlicher kongnitiver Dissonanz zu tun: Obwohl die IEA sagt, die bisherigen Aktivitäten reichen nicht ansatzweise aus, wird dies gesellschaftlich leider nicht angemessen wahrgenommen. Jetzt kommst du und sagst, du glaubst nichtmal den Szenarien der IEA und meinst damit zweifellos, dass die Sache noch schlimmer wird, dann bedeutet dies ja, dass die Aktivitäten noch viel drastischer ausfallen müßten. Wie bringt man solcherlei Gedanken an die Leute? Was sollen sie daraufhin entscheiden?

    • steffomio sagt:

      Wenn die Wirtschaft keine höheren Ölpreise zwecks Bohrtechnik liefern kann ohne Schaden zu nehmen, bleibt nur noch die Nachfrage zu reduzieren.
      Wie das geht, haben wir in Irak, Libyen und im Grunde in ganz Afrika gesehen. Sehen wir gerade in Griechenland und Syrien. Werden wir vielleicht bald in Iran sehen.
      Die (inoffizielle) Masche ist immer die gleiche: Desinformieren, Destabilisieren, Unruhen stiften bis hin zum Bürgerkrieg. Um dann -zum Hohn!- (offiziell) auch noch als großer Friedensfürst aufzutreten, der dem wild gewordenen Volk angeblich Frieden bringen soll.

      So läuft das und wird es weiter laufen. So und nicht anders.
      Der Rest der “noch nützlichen” Länder die volle Wirtschaft fahren dürfen wird immer weniger und wird mehr und mehr das Bild eines eingezäunten und bewachten fünf Sterne Hotels in mitten eines bitter armen Landes bekommen.

      So wird es kommen, garantiert!
      Aber niemand würde das so verfassen, sondern lieber ein glänzend beschönigendes x-hundert Seiten Werk schreiben.
      Die Realität aber, wie das ganzen dann tatsächlich umgesetzt wird, sieht ganz anders aus. Da werden die überschüssigen “Verbraucher” einfach zu Unkraut verstümmelt und vergiftet und so unter gepflügt dass sie nie wieder auf die Beine kommen.
      Dass ist die Realität.

  5. Florian Hoppe sagt:

    Es ist aber leider wieder bezeichnend, daß Spiegel und Co. das optimistische New Policies Szenario in ihren Berichten als Referenz genommen haben. (Die wirtschaftsliberale Presse will es am ehesten wahr haben.)

    Und das Current Policies Scenario liegt wenn ich richtig sehe ca. 20 US Dollar darüber, was inflationsbereinigt noch näher bei der von
    Rifkin als kritisch bezeichneten 150 US Dollar Marke liegt.

    • Norbert Rost sagt:

      Das liegt vermutlich daran, dass die IEA ihr Material auch nahezu vollständig auf dieses Szenario ausrichtet. Vermutlich liest kaum ein Journalist den gesamten Bericht (habe ich ja auch nicht getan), sondern es wird wenn überhaupt auszugsweise gelesen und ansonsten das genommen, was IEA und Nachrichtenagenturen zuvor ein einer A4-Meldung zusammengefasst haben. Da bleibt natürlich nicht viel Fleisch am Knochen.

      Im Current Policies-Scenario überschreiten wir 150 US$ so zwischen 2017 und 2018, was aber nicht heißt, dass Preisspitzen nicht vorher zuschlagen. Die Preisszenarien sind ja stark geglättet.

  6. Florian Hoppe sagt:

    @Norbert Rost: Danke für diese Klarstellung. So bald also schon. Damit wäre also eine weitere schwere Rezession in den nächsten Jahren defacto vorprogrammiert, sofern Herr Rifkin recht hatte. (Bei oildrum.com hat einer der Autoren vor einigen Jahren etwas ähnliches geschrieben, ohne sich auf Rifkin zu beziehen..)

  7. KAOS sagt:

    @Norbert: Danke für den großartigen Artikel!
    Habt ihr mal über Flattr-Buttons auf dieser Seite nachgedacht? So einen würde ich jetzt gerne hier drücken. Es wäre zwar im Vergleich zu den Kosten für den WEO, den ja auch irgendjemand bezahlt haben wird, eine sehr geringe Summe, aber wenigstens eine kleine Anerkennung für den Aufwand.

  8. Tom Schülke sagt:

    @ Norber, Auch von mir, respekt für diese Zusammenfassung. und den Flattr-Button würde ich jetzt auch gerade drücken….

    Tom

  9. Athamas sagt:

    Lieber Norbert,

    da kann ich mich nur anschließen!!
    Sehr gute Zusammenfassung und Klärung der Fakten.
    ..Vielen Dank hierfür! :-)
    Ps: Bei einem Flattr-Button würde ich diesen bestimmt sehr oft betätigen hier! ;)

  10. Patrick sagt:

    100% Zustimmung:
    SUPER Zusammenfassung – die leider auch wieder das ganze Dilemma von so einem Bericht offenlegt.
    Ein höchst wichtiges Papier für die gesamte Welt, aber jeder Journalist überfliegt da nur das nötigste und pickt sich das “Standard/Mainstream” Resumee heraus.

    So wird`s nix werden und meine bösen Vorahnungen für die Zukunft werden nicht positiver…

  11. Plepe sagt:

    Ah, endlich Flattr-Buttons :) Da klick ich doch gleich!

  12. Florian Hoppe sagt:

    http://ourfiniteworld.com/2012/11/13/iea-oil-forecast-unrealistically-high-misses-diminishing-returns/

    Ein sehr guter Artikel von der Oil Drum Schreiberin Gail Tverberg.

    Auch sie sieht den IEA als überoptimisch an und kritisiert, daß abnehmende Grenzerträge (dimishing returns) außer acht gelassen werden.

    • GermanStacker sagt:

      …da sie ja ihren eigenen Blog hat, würde ich sie nicht mehr als TOD-Schreiberin bezeichnen. Meines Erachtens gelingt es niemandem sonst so gut wie ihr, den großen Bogen zu schlagen. Und von welcher Ecke sie es auch betrachtet, sie gelangt immer zum selben Schluss: es läuft jetzt alles auf die ökonomischen und finanziellen Implikationen hinaus. Der geologische Peak wird zunehmend irrelevant. Hier liegt m.E. auch ein großer Mangel der – sowieso kaum existierenden, Umweltfragen mit hineinmischenden, und übermäßig grundsatzdiskutierenden – deutschen PO Szene.

  13. Marcus Kracht sagt:

    Vielen Dank an Norbert für die Zusammenfassung. Es wäre vielleicht gut, die Zeitungen daran zu erinnern, dass außer der IEA noch viele andere Organisationen Studien verfassen. So etwa die New Economics Foundation, deren neuesten Bericht ich nur empfehlen kann (kostet nichts und ist erheblich kürzer), abzurufen bei

    http://www.neweconomics.org/

    Wichtiger Punkt ist: der “ökonomische Peak Oil” wird bis zum Jahr 2014 erreicht werden, mit weitreichenden Konsequenzen.

    — Marcus Kracht

  14. […] der Diskussion um die vorgestrige Analyse des IEA-Berichts wünschten sich mehrere Kommentatoren einen flattr-Button: Flattr ist ein Mikropayment-System, […]

  15. […] dem „New Policy Scenario“ der Internationalen Energieagentur (IEA). Die IEA, die ihren letzten Energiebericht im November 2012 veröffentlichte, geht in diesem Szenario davon aus, dass alle Nationen ihre angekündigten […]

  16. […] reguliert werden sollte. Geht man jedoch von den Absichtserklärungen aus, die sich auch in den Szenarien der Internationalen Energieagentur widerspiegeln, so ist eine Deckelung der CO2-Emissionen politisches Ziel – auch wenn derzeit […]

Diesen Eintrag kommentieren:

* Hinweis: Dieses Formular speichert Name, E-Mail und Inhalt, damit wir den Ueberblick ueber auf dieser Webseite veroeffentlichte Kommentare behalten. Fuer detaillierte Informationen, wo, wie und warum wir deine Daten speichern, welche Loesch- und Auskunftsrechte Du hast - wirf bitte einen Blick in unsere Datenschutzerklaerung.